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Aus dem Leben eines Taugenichts

Buch des Monats

Aus dem Leben eines Taugenichts

«Dann werde ich den ersten Schritt machen, auf die Strasse gehen. Ich werde heraustreten aus der schützenden Nacht und mich hineinstellen in das gleissende Licht des Tages. Mich meinem Lebenslauf ausliefern. Den Geistern Genüge tun. Ihr werdet schon sehen. Aber vorher lasst mich noch einmal in den Sand zeichnen. Eine Spur hinterlassen für alle, die noch erschütterbar sind. Für sie ist das hier geschrieben.» – Wenige Zeilen vor Schluss von «Sieben Nächte» erklärt Simon Strauss‘ Erzähler es noch einmal allen, die es auf den vorangegangenen knapp 140 Seiten dieses literarischen Debüts noch nicht kapiert haben: Erwachsenwerden ist schwierig, vorher nochmal dick auftragen allerdings nicht. Und wer das einfach nicht verstehen will, gehört a priori nicht zur Zielgruppe. Letztere, so klärte Florian Illies frühzeitig in der «Zeit» auf, sei eine «nächste Generation», womit der Generation-Golf-Autor wohl jene am Erwachsenwerden leidenden Menschen meint, die sich in den Feuilletons seit ein paar Jahren widerspruchslos als «Generation Y» abkanzeln lassen müssen. Sie seien verwöhnt, angepasst, unpolitisch, nicht entschlussfreudig. Sie wüssten zwar viel – bloss nichts damit anzufangen.

Ja, als moderner «Taugenichts», und das Buch strotzt vor weiteren Referenzen an die deutsche Romantik, verortet sich der Ich-Erzähler von «Sieben Nächte» eindeutig. Seine Helden sind Rilke, Novalis und Caspar David Friedrich, da sind dann auch die alten deutschen Ideale von Natürlichkeit, Schönheit und Erhabenheit. Da sind an allem menschlichen Material reibende, wilde Kräfte, die es wieder zu entdecken gelte, und durchaus auch moderne, also weniger greifbare Wiedergänger der Romantiker und Philister aus Eichendorffs Original. Die Anlage hat also das Zeug zum grossen Wurf, dumm nur, dass unserem modernen Taugenichts – anders als dem Original – keiner in den Hintern tritt: Unser «Simon» weiss zwar die hehrsten Ideale in seinem Handschuhfach, er hat aber leider den Autoschlüssel verlegt.

Die zu Tode ausgedeutschte Diskrepanz zwischen Ideal und Realität im Leben des kleinen Simon wird über die wenigen Kapitel hinweg so schmerzhaft, so jämmerlich, so künstlich, dass die Lektüre tatsächlich beginnt, Spass zu machen. Das liegt nicht daran, dass dem Buch irgendetwas Programmatisches, wie Illies meint, abzugewinnen wäre: dieser Simon sagt uns nichts Neues, geschweige denn Brauchbares über seine Generation oder ihre Probleme. Auch die anderen Charaktere, deren Geschichten (oder Konturen) stets nur angedeutet sind, selbst die sieben Todsünden, die unseren Ich-Erzähler jede Nacht zu neuen Taten stimulieren sollen, führen ins Nichts. Der Schlüssel zum einstweiligen Genuss dieses Buches ist die Sprache, die als «unstet, meist belehrend, intellektualistisch» («Süddeutsche») bereits gut beschrieben wurde. Erst auf den zweiten Blick wird aber klar, dass Simons Simon ganz offensichtlich in fremden Zungen redet: Er spricht die Sprache seines Vaters (ja, genau, das ist Botho Strauss) wie seines Urgrossvaters, die alle schon immer wussten, dass ihre Nachkommen nicht so fleissig und intelligent, nicht so tatkräftig oder entschlussfreudig sein werden wie sie selbst. Schon zu Eichendorffs Zeiten wussten es die Alten besser, oder glaubten das zumindest – die sogenannte «Generation Y» ist nun aber die erste, die keine Identität und keinen Antrieb aus dem Widerstand gegen ihre Elterngeneration gewinnen kann: Letztere hat keine Kriege angezettelt, ist in Frieden reich geworden, bewahrt bis heute den Habitus des Rebellischen. Sie hat die intellektuellen und politischen Schlachten gegen Ungerechtigkeiten, Unfreiheiten, ja gegen das ganze «Schweinesystem» angezettelt, 1990 gar das «Ende der Geschichte» herbeigeführt. Es gibt für ihre Nachkommen nichts mehr zu tun, glauben die Babyboomer – sie müssen nur noch das richtige Deo auswählen.

Das ist die gleichzeitig ohrenbetäubend laute wie sehr feine Ironie dieses Romans: er beschreibt nicht, wie die Generation Y tickt, er beschreibt eher – und mitunter offensichtlich satirisch –, wie die Babyboomer sich einen ihrer typischen Nachfahren vorstellen und was sie ihm so gern an Haltung und Distinktionsmitteln mitgegeben hätten. «Sieben Nächte» bleibt auch in dieser Lesart ein ätzendes Lehrstück, aber eines für all jene, die ob ihrer liebsten Klischees zur «nächsten Generation» noch ein letztes Mal selbstgefällig mit dem Kopf nicken wollen.


Michael Wiederstein
ist Germanist und Chefredaktor dieser Zeitschrift.


Buch: Simon Strauss: Sieben Nächte. Berlin: Blumenbar, 2017.

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