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Brief aus der ­Romandie (quatorze)

Eine Chinesin lächelt auf dem Umschlag zweier kleinformatiger Bücher, einmal als junge Frau mit Zopf in gemustertem Sommerkleid, das zweite Mal älter, mit Mittelscheitel und weisser Bluse. Es ist Wen, die 2012 verstorbene Frau des ehemaligen Genfer Sinologieprofessors Jean François Billeter. Fünf Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht dieser in «Une autre Aurélia» ein bewegendes Tagebuch […]

Eine Chinesin lächelt auf dem Umschlag zweier kleinformatiger Bücher, einmal als junge Frau mit Zopf in gemustertem Sommerkleid, das zweite Mal älter, mit Mittelscheitel und weisser Bluse. Es ist Wen, die 2012 verstorbene Frau des ehemaligen Genfer Sinologieprofessors Jean François Billeter. Fünf Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht dieser in «Une autre Aurélia» ein bewegendes Tagebuch der Trauer. In dichten, unsentimentalen Einträgen notiert er Gefühle, Erinnerungen und Träume seines Lebens «nach Wen», der abwesend-präsenten Gefährtin, besonders in Begegnungen mit Musik, Literatur, Film und bildender Kunst. Im fast gleichzeitig erschienenen zweiten Bändchen, «Une rencontre à Pékin», erzählt Billeter, wie er die junge Ärztin 1964 als Student in China kennenlernte und wie die beiden es schafften, Hürden und Schikanen des Mao-Regimes zu überwinden und 1966 zu heiraten. Ein Jahr wollte das Paar darauf in der Schweiz verbringen – wegen der Kulturrevolution wurden es neun, bis sie 1975 wieder nach China reisen konnten. Erst dann erfuhren sie das Ausmass des Elends und der Demütigungen, denen Wens Familie in jener Zeit ausgesetzt war. Für die beiden bei Allia erschienenen Bücher wurde Billeter mit dem Prix Michel-Dentan ausgezeichnet.

Ein autobiographisch inspiriertes Buch der Trauer ist auch der in den 1970er Jahren angesiedelte Roman «Rentrée des classes» (art&fiction) von Laurence Boissier, für den die Genferin den Prix Pittard de l’Andelyn und den Prix des Lecteurs de la Ville de Lausanne erhielt. Die zehnjährige Mathilde registriert mit Unbehagen, wie wohlwollend-scheu sie in der Schule plötzlich behandelt wird, seit ihr Vater «verschwunden» ist. Boissier erzählt feinfühlig und humorvoll, wie Mathilde, ihre Mutter und ihr älterer Bruder ins Leben zurückfinden.

Erstmals verleiht die Fondation Pittard de l’Andelyn 2018 auch einen Übersetzerpreis: Er geht posthum an die im April verstorbene Claude Krul, die moderne syrische Autoren auf Französisch übersetzte.


Ruth Gantert
ist Übersetzerin und Redaktionsleiterin des dreisprachigen Jahrbuchs der Schweizer ­Literaturen «Viceversa» sowie der Plattform www.viceversaliteratur.ch. Sie lebt in Zürich.

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