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Die Gegenwart der Zukunft in der Romandie

In der Westschweiz boomt literarische Science-Fiction. Mais pourquoi?

Als Herausgeber zahlreicher Anthologien zum Thema beobachte ich den Science-Fiction-Kosmos der Romandie schon seit einiger Zeit. Es ist auffällig, dass sich der literarische Stellenwert des Genres, mal Unterhaltungs- und mal Hochliteratur, zunehmend wandelt: Am Buchsalon in Genf etwa wurde der Science-Fiction in diesem Jahr besonders viel Platz eingeräumt – und das Publikum liess sich nicht lumpen. Science-Fiction als Genre interessiert, seine Autorinnen und Autoren nicht minder. Die «hohe» Literatur schaut nicht mehr auf sie und ihre Stoffe herab, wie jüngst der Krimi behauptet sich auch die Science-Fiction in einem neuen Umfeld – schon heute, aber wohl noch mehr in naher Zukunft. Woran liegt das? Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig, weshalb sie in Etappen und mit vielen Beispielen für das Besondere der hiesigen Szene beantwortet werden muss.

Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass man sich unter den Science-Fiction-Autoren kennt und trifft – nicht bloss an den vielen Messen, Ausstellungen, Konferenzen oder Podien des Genres, sondern auch und vor allem an den monatlichen «Mercredis de la SF» in Genf und Lausanne, schweizweit einzigartigen Meetings einer Szene. Es sind Begegnungen der direkten Art, mit regen Diskursen unter Aficionados. Man teilt Lektüretipps oder berichtet von der Arbeit an eigenen Projekten. Entstanden sind die «Mercredis» auf Initiative von Vincent Gessler («Cygnis» und «Mimosa», bei LʼAtalante erschienen) und Lucas Moreno, dem Autor von «Singulier Pluriel» (bei Hé-lice Hélas erschienen). Ein weiterer Grund für den Erfolg des Genres ergibt sich direkt aus diesem Austausch: Wetteifer. Man kennt sich nicht nur, man spornt sich auch an.

Heute stehen einige Vertreter der jüngeren Generation von Science-Fiction-Autoren aus der Romandie auf Augenhöhe mit Grössen wie François Rouiller. Rouiller hat für sein Werk «100 mots pour voyager en science-fiction» im Jahr 2006 den «Grand prix de lʼimaginaire» erhalten. Daneben beeindruckt er als Autor von «Stups & fiction» (Encrage), einem meisterhaften Essay über die Drogen der Zukunft, sowie einem zweibändigen Roman («Métaquine»), der Wirkungen und Nebenwirkungen künftiger Medikamente thematisiert. Dieses Werk ist ein Beispiel für die auch in der Romandie feststellbare Tendenz zu dystopischen Werken, wenn es ums Übermorgen geht. Wir finden hier aber generell alle Schattierungen – von der Space Opera über Fantasy bis zu Vampirgeschichten.

Seit längerem Bestandteil der Szene ist auch der Freiburger Georges Panchard, Autor von «Forteresse» und «Heptagone» (Robert Laffont). Auch die Genferin Laurence Suhner gehört seit einiger Zeit zu den prägenden Figuren. Sie ist die Schöpferin der Trilogie «Quantika», in der es um Gemma, einen Planeten, der nur so funkelt vor Geheimnissen, geht. Die Trilogie ist eine zu Recht mit mehreren Preisen bedachte «planet opéra» – ein Untergenre der Science-Fiction, das auf fremden Planeten spielt, wo ganz eigene kulturelle und physikalische Gesetze herrschen.

Yvan Bidiville hingegen hat auf sich aufmerksam gemacht mit seinem Cyberpunk-Werk «33e Itération» (erschienen bei Rivière Blanche) und auch André Ourednik dringt mit seinen «Contes Suisses» (Encre Fraîche) in Science-Fiction-Sphären vor. Hervé Thiellement füllt die Romand-Science-Fiction derweil mit optimistischem Humor («Le monde de Fernanda», «Le dieu était dans la lune» und «Multiple était la lune», erschienen bei Rivière Blanche).

Die Liste der beliebten Autorinnen und Autoren liesse sich fortsetzen, mehr Sinn allerdings macht es, abschliessend auch die einschlägigen Festivals zu berücksichtigen, an denen sie sich treffen: etwa das «Imaginale» im lothringischen Epinal oder die «Utopiales» in Nantes. Dass beide in Frankreich stattfinden, unterstreicht die Bedeutung Frankreichs – neben zunehmenden Einflüssen aus Grossbritannien und den USA – als Leitstern für die westschweizerische Science-Fiction.

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