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auspacken, ankommen, schreiben

auspacken, ankommen, schreiben
Yael Inokai, fotografiert von Ladina Bischof.


Als ich letztens einem Bekannten vom Irrsinn des Berliner Immobilienmarktes berichtete, fiel es ihm sichtlich schwer, Verständnis für meine Lage aufzubringen. «Warum suchst du überhaupt eine Wohnung?», fragte er, «du bist doch Autorin. Alles, was du zum Arbeiten brauchst, sind Stift und Papier. An deiner Stelle würde ich mein Zeug verscherbeln und nur noch reisen!»

Er erzählte von seinen Tagen im Büro, der Gleichförmigkeit, der Langeweile, den Überstunden, mit denen man eine komplette Zweitkarriere hätte starten können. Überhaupt sei er gefangen in dieser bürgerlichen Lebenswelt, und da er auch Kinder habe … er verschwand dann mit wehmütigem Blick in Richtung seiner Eigentumswohnung.

Ich zog noch weiter. Dabei passierte ich ein Geschäft, das sich der Reparatur und Pflege alter Schreibmaschinen verschrieben hat. Dort stand sie im Fenster: eine Hermes Baby. Und schien die weit verbreitete Annahme meines Bekannten zu bestätigen: Die Schreibende reist, deshalb braucht sie leichtes Gepäck. Ankommen muss sie nicht.

Fünfzehnmal bin ich in meinem Leben schon umgezogen. Fünfzehnmal Hab und Gut und eine gelebte Zeit aussortieren; an den neuen Ort kann und darf nicht alles mit. Fünfzehnmal häuten und abwerfen, neu einrichten, ansammeln, abwohnen. Und dann von vorne. Sechsundvierzig Menschen, mit denen ich Bad und Küche, Sofa und Balkon geteilt habe.

Sechsundvierzig Arten, Geschirr zu spülen (oder auch nicht. Und ich am allerwenigsten). Hätte es die Wände nicht gegeben, wäre zwischen den Betten meiner Mitbewohner und meinem manchmal weniger als ein Meter gewesen. Wer ist das überhaupt, der die gleiche Adresse sein Zuhause nennt wie ich? Sechsundvierzig Universen, die einem so vertraut und dann auch wieder so fremd sind.

Lange habe ich zu Hause geschrieben. Schlafen und arbeiten in einem Raum, da kann es nachts in den Träumen ganz schön knallen. Wenn man denn überhaupt ein Auge zukriegt – und davor nicht mal wieder von seinen Figuren überfahren wird. Die schlafen nämlich zu anderen Zeiten als man selbst.

Meinen Roman habe ich durch drei verschiedene Domizile getragen. Manchmal nahm ich ihn auch zur Arbeit in die Saarländische Galerie mit, wo ich von weitläufigen Wohnräumen träumte und dabei vergebens auf Besucher wartete.

Anfänglich tut das Reisen dem Formen der Geschichte keinen Abbruch. Sie versucht selbst, einen Anfang zu finden. Aber irgendwann, wenn er da ist, verlangt sie nach Rahmenbedingungen.

Die Geschichte will ein Haus, um darin gross zu werden.

Vor einem Jahr im Dezember fand mein Schreiben einen Ort zum Bleiben. Vierzig Quadratmeter, vier Tische, eine Kaffeemaschine, eine eiskalte Toilette, acht Autorinnen und Autoren. Wir haben Wände gestrichen, Regale gebaut, Lampen aufgehängt, Möbel zusammengesucht. Schrauben wurden in die Wand gebohrt – so weiss man, dass man nicht gleich wieder gehen will. Und wie jeder in Berlin haben wir sofort das Dorf zusammengesucht: unser Café, unsere Kneipe, unser Späti, unser Bäcker. Der Barista, der zwar Coffee to go anbietet, aber jedem «zum Mitnehmen» schmerzerfüllt ein «Bitte nicht» entgegnet. Der Verkäufer, dessen Auto so gross ist, dass er nur mit Anlauf auf den Fahrersitz kommt. Der Paketbote, der schimpft, er könne nicht immer Allah fragen, wohin das ganze bestellte Zeug komme; wir sollten endlich die Klingel richtig anschreiben. Und die Geräusche: die S-Bahn, die neben dem Büro hält und dabei die Wände zum Vibrieren bringt. Das Kindergeschrei um drei nach vier. Das Dröhnen der Schleifmaschine in der Werkstatt gegenüber.

Acht Universen, bevölkert mit Geschichten und Figuren, Angedachtem, Verworfenem, zweiten, dritten, vierten Existenzen, manchmal verwoben mit der eigenen Biografie, manchmal nicht.

Meine Figuren sind hier herangewachsen. Ich habe sie kennengelernt, begleitet, mit ihnen gerungen. Sie haben mich getröstet und ich sie.

Mit Ritualen, wie sie so viele Autorinnen und Autoren pflegen, kann ich nur wenig anfangen. Immerhin, das Rauchen hat über einige Jahre mein Schreiben getaktet. Aber dann gab ich auch das auf.

Ich brauche einen Ort. Damit die Gedanken wandern und sich gleichzeitig festigen können, muss ich zur Ruhe kommen.

Meine Figuren scheinen sich dort wohlgefühlt zu haben. Sie waren immer da, wenn ich die Tür aufschloss und die Jalousien hochzog. Irgendwann haben sie das Haus, das ihnen so vertraut war, verlassen und sind in die Welt hinaus.

Ich habe gute Umzugskartons. Ein Buchhändler hat sie mir geschenkt und gemeint, ihre stabilen Böden hätten schon Hunderte von Geschichten gestemmt und seien noch lange nicht am Ende.

Wonach wird es im nächsten Treppenhaus riechen, durch das ich sie trage? Worauf werde ich blicken, wenn ich morgens Kaffee trinke? Wer wird mit mir da sein?

Mein Schreiben jedenfalls hat keine Lust aufs Reisen. Mach mal, winkt es müde ab, ich hab eine Wohnung. Und da bleibe ich erst mal.

Ausgezeichnetes Werk: «Mahlstrom», Zürich, Rotpunktverlag 2017.

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