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Expedition Alpsegen

So eine dummgewaltige, so eine bodenlose und übermächtige… so ein Erdrutsch von Frage: Warum geht man in die Berge?! Heimtückisch lauert sie am sonnengewärmten Steintisch der SAC-Hütte, steht an jedem Dia-Vortrag im Raum und lässt sich nicht einmal aus dem engsten Bekanntenkreis bannen. Gestandene Bergsteiger müssen bei ihr den Nothaken der Esoterik schlagen oder ins […]

Expedition Alpsegen

So eine dummgewaltige, so eine bodenlose und übermächtige… so ein Erdrutsch von Frage: Warum geht man in die Berge?! Heimtückisch lauert sie am sonnengewärmten Steintisch der SAC-Hütte, steht an jedem Dia-Vortrag im Raum und lässt sich nicht einmal aus dem engsten Bekanntenkreis bannen. Gestandene Bergsteiger müssen bei ihr den Nothaken der Esoterik schlagen oder ins Bonmot ausweichen. «Weil sie da sind» (Sir Edmund Hillary), «Um dem Gefängnis zu entfliehen» (Ludwig Hohl), «Mein Bruder ist Eishockeyspieler, den fragt keiner nach dem Warum» (Ueli Steck).

Dabei gibt es durchaus Berggänger, die nie mit der Sinnfrage geplagt werden. Die suchen die Ruh’ auch nicht über allen Gipfeln, sondern immer schön ein Stück darunter. Dort, wo Wiesen und Kuhfladen noch saftig sind, wo das Leben nicht an Seil und Haken hängt, sondern an Arbeit, Melkschemel und der Sorge um ein hinkendes Schaf. Älpler müssen nie lange überlegen, warum sie tun, was sie gerade tun. Und noch etwas haben sie den Alpinisten uneinholbar voraus. Während selbst Erstbesteiger kaum je einem Gipfel ihren Namen geben durften, haben die Älpler dem ganzen gewaltigen Gebirgszug mit einem Streich für alle Zeiten den Namen verpasst. «Das sind die Alpen!», hatten die Bergbauern seelenruhig erklärt, als frühe Forschungsreisende mit ihrem Stöckchen auf die Berge wiesen, um sich bei diesen Unortsansässigen nach Gipfelnamen zu erkundigen. Ein herrliches und erhellendes Missverständnis. Die Bergbewohner hatten nur Augen für die hohen Weiden, die unterhalb der Steinhaufen lagen. Mit Felsgipfeln und dergleichen hielten sie es wie alle Bergvölker der Welt: sie sind gar nicht erst hinaufgestiegen. Und wenn, dann nur widerwillig einer verirrten Geiss hinterher. Mit dem Tödi benannten sie die Ödnis, nicht den Tod, wie oft angenommen. So viel Heroismus billigten sie dem Nutzlosen nicht zu. Das taten nur die Zugereisten. Mit ihnen ging man in späteren Zeiten hinauf, weil sie halt zahlten. Von den 48 Viertausendern der Schweiz wurden gerade mal vier von Einheimischen erstbestiegen. Selbst die berühmten Sherpas erklommen ihre Giganten erst auf dem Umweg über das indische Darjeeling, wo die verrückten Engländer Träger für ihre Expeditionen unter den Rikscha-Kulis rekrutierten. Als letzte in der lokalen Hackordnung waren die aus dem tibetischen Hochland eingewanderten Sherpas froh um jeden Job, den man ihnen überliess. Ruhm kommt oft zu denen, die ihn nicht suchen. Aber oft auch nicht. So füllen sich die Bibliotheken mit den grossen Erfolgen der Alpinisten, mit ihren Einblicken in innere und äussere Abgründe. Biographien und Berichte, dass sich die Regale biegen.

Doch auf «Hirtenstock und Käsebrecher» hat man lange warten müssen. Ein selbstbewusstes Portrait all jener, die in der Bergwelt nicht nur auf Besuch sind – und meist wenig Aufhebens um sich machen. Zum Glück macht das jetzt Giorgio Hösli. Vor Jahren schon hat er mit Freunden das heimlich beste Schweizer Bergbuch vorgelegt. «Neues Handbuch Alp» ist ein sympathisch grössenwahnsinniges Sachbuch, das glaubwürdig vor dem Alpleben warnt, dabei zur Hymne gerät und all dies in einer Sprache, dass es eine wahre Literatur ist. Ihm wäre mehr als ein begeistertes Fachpublikum gegönnt, «Hirtenstab und Käsebrecher» bekommt es jetzt. Locker geht es kurz nach Erscheinen in die zweite Auflage, wird rundum gefeiert – und auch im Bücherregal von uns Bergsteigern macht es sich wohltuend gut. Neben all der Selbsterfahrung, die dort steht, den Abenteuern und herrlichen Egotrips in alle Welt, holt einen «Hirtenstab und Käsebrecher» aus dünner Luft wieder auf den Boden zurück. Mit Lebensgeschichten der
Alpleute, wie sie untypisch-typischer nicht sein könnten, und Bildern in stilistisch freundlichem Durcheinander. Für einmal hat sich nicht die konsequente Bildredaktion durchgesetzt, sondern die kaum zu bändigende Lust der Macher am Zeigen und Abbilden. Als wollten sie sich anstemmen gegen die Bilderflut der touristischen Vereinnahmung.

Entstanden ist ein charmantes Fotoalbum von Erzählband. Ein Buch, das so manchen Bergverliebten den Eispickel nachdenklich zur Seite legen lässt. Älpler und Alpinisten trennen Welten, doch fühlen sie sich in derselben zuhause. Und vielleicht findet sich in «Hirtenstock und Käsebrecher» die Antwort auf die Frage, was nach Ehrgeiz und Selbstverwirklichung kommt. Ein unaufgeräumter Steintisch, die sommerabendliche Suche nach einer fehlenden Geiss? Oswald Oelz hat sich schon mal Schafe gekauft.

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