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Andreas Niedermann:
«Von Viktor zu Hartmann / Wege – Hanteln – Worte»

 

Der Mensch ist ein Übender, lehrt Peter Sloterdjik, ein Wesen, das in einer Vertikalspannung lebt, einer ständigen Herausforderung von oben, die seinen Drang zur Selbstoptimierung freisetzt. Dabei gibt es Übungen ganz unterschiedlicher Art, asketische, spirituelle, rituelle, selbstzerstörerische etc., und natürlich auch, seit alters, athletische. Auf letztere spezialisierte sich der gebürtige Basler Schriftsteller Andreas Niedermann in seinem jüngsten Wurf «Von Viktor zu Hartmann / Wege – Hanteln – Worte». Und das mit Fug. Niedermann gehört nicht zum weitverbreiteten Typus des sportscheuen Intellektuellen, dessen Hand, pars pro toto, Schiller mit den Versen charakterisierte: «Sie hat der Leier zarte Saiten, / Doch nie des Bogens Kraft gespannt.» Als Niedermann das Bauernhaus Birli bei Wald (AR) für ein Jahr als Stipendiat bewohnte, soll, so berichten Augenzeugen, wenn der Zwei-Zentner-Kasten am Sandsack im Keller trainierte, das ganze Haus ob der Wucht der Schläge gezittert haben! Niedermann ist also der richtige Mann, um über das Selbstoptimierungspotential des Boxens, Radelns und Hantelnhebens Auskunft zu geben. Doch wer von den kurzen, tagebuchartigen Texten Beiträge im Stil von «Men’s Health» und anderen Trimm-dich-Magazinen erwartet, liegt völlig falsch. Nicht umsonst nennt Niedermann seinen Übungsraum «Geisteszentrum»; für ihn machen körperliche Exerzitien nur dann Sinn, wenn sie zu Erkenntnissen führen. Dabei ist Niedermanns Blick auf den Körper unverblümt, hart und direkt: «Und so stemme ich Eisen gegen den Abbau. Arbeite mich vor zur Klimax, zu jenem Gipfel, von dem es unwiderruflich abwärts geht, wo keine Steigerung mehr möglich ist. / Es hört sich vielleicht seltsam an, aber: Ich bin neugierig, wann es so weit sein wird… / Heute noch nicht.»

Ja: noch immer macht der bald 60jährige weiter, pustet sich die Lunge Tag für Tag aus dem quadratischen Leib, bis er schier «in den Spind kotzt», und danach schreibt er Sätze, zieht Schlüsse wie diesen, welcher jeder noch so zögerlichen Leserschaft den Mut einhauchen dürfte, es gleichfalls zu versuchen und unverzüglich die Arbeit an sich selbst aufzunehmen. Es ist nie zu spät. Niedermann erinnert sich, dass er als 33jähriger – den Tod vor Augen, fix und fertig von «zwei bis drei Flaschen Whiskey täglich, aufgedunsen, verwirrt und gefangen in einer ausweglosen Depression» – die Umkehr anging und sich kraft intensiven Trainings wieder zurück ins Leben stemmte, nachhaltig. So was macht doch Mut, oder?

Andreas Niedermann: «Von Viktor zu Hartmann / Wege – Hanteln – Worte». Wien: Songdog, 2014.

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