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Matthias Zschokke:
«Die strengen Frauen von Rosa Salva»

 

Nach Venedig, so hört man, könne man nicht mehr reisen: zu teuer, das Essen nicht mehr gut, zu viele Touristen. Dem Zauber Venedigs, so Matthias Zschokke in seinem neuen Buch, könne dies alles aber nichts anhaben. Ein halbes Jahr lang hat er für freie Logis in der Höhle, nämlich Stadt des Löwen gewohnt. Und daraus ein Buch gebastelt, in dem, ähnlich wie in seinem E-Mail-Roman «Lieber Niels» (2011), elektronische Post an Bekannte eine Handlung ersetzt. Dabei gelobt er einen frischen Blick auf die Stadt; wolle «bloss vorher nichts lesen über Venedig», lese ohnehin «grundsätzlich wenig und eher widerwillig» und «rede lieber über Parmaschinken.» So weit, so gut.

Doch obschon Zschokkes E-Mails es im lockeren Aneinanderreihen von beifälligen Beobachtungen erlauben, allerlei Sprechendes anzuschneiden – Touristen, die hochsommerliche Hitze, die immer wieder aufblitzende Pracht der Stadt und ihre Immobilienpreise –, pendeln sich seine Betrachtungen doch meist bei Belanglosigkeiten ein. Seinem «Freund in Köln» verrät er etwa anlässlich eines Marktbesuchs: «Die Artischockenböden sind bekanntlich das Beste an den Artischocken.» Das ist keine Neuigkeit, doch lernen wir immerhin, dass die italienischen Gemüsehändler die Artischockenböden in Zitronenwasser einlegen. So weit, so gut.

Es folgen dann Überlegungen zur Medienberichterstattung über den syrischen Bürgerkrieg: Assad töte Kinder? Hat man dasselbe, fragt sich der Schreiber, nicht einst von den Juden behauptet? – Was reitet Zschokke zu solchen Vergleichen? – In einem nächsten Brief wartet er dann mit der Beobachtung auf, dass italienische Gemüsehändler die Artischockenböden in
Zitronenwasser einlegten. Das wissen wir mittlerweile, und der Adressat des Briefs, wiederum der «Freund in Köln», auch.

Nebst Tagespolitik und Artischocken nimmt sich Zschokke auch Belletristik vor. Seitenlang kommt er über den Erfolg von Kehlmanns «Vermessung der Welt» nicht hinweg, verkündet, er wolle kein Buch über Figuren lesen, «die als selbstgerechte, eitle Spiesser enden». Doch mutet er seinen eigenen Lesern Passagen zu wie: «Selbstverständlich kommt bei mir Parmesan nur am Stück ins Haus. Und zwar nicht Grana Padano, sondern echter Parmesan. […] In Zukunft werde ich nie mehr was anderes zwischen meine Zähne lassen als Parmigiano Reggiano.»

In den falschen Hals kommen ihm aber nicht nur Grana
Padano und Bestsellerautoren: «Oh je, noch ein Schweizer», kommentiert er die Aussage eines wenig bekannten Kollegen, «der ‹seine Erlösung nur im hartnäckigen Weiterschreiben› meint finden zu können. Vielleicht sollte ich ihm verraten, dass er einem fatalen Irrtum aufsitzt.» – Doch wer sich selber in Reflexionen bespiegelt wie: «Was mich beschäftigt, ist nicht so sehr mein neues Buch, sondern mein zunehmendes Wissen um die Vergeblichkeit all meiner Bemühungen», dem möchte man seinerseits «verraten», dass die Sinnlosigkeit der Existenz nicht nur ihn betrifft und dass sie andere Schriftsteller nicht davon abgehalten hat, sich um ihre Bücher zu kümmern.

Die Wiederholungen und das kompromisslos ausgestellte Halbwissen erfüllen dabei im innovativen Schreibverfahren des E-Mail-Romans zwar eine Authentie-Funktion, doch verblassen die oft auch sehr schönen und feinen Venedig-Betrachtungen neben den ständigen Selbstbespiegelungen des Autors. Dass Zschokke diesen mühsamen Zug seines Schreibens beständig ironisch zu brechen versucht, macht die Sache nicht besser – ein weiterer Spiegel hilft in einem Spiegelkabinett schliesslich nicht unbedingt weiter.

Matthias Zschokke: Die strengen Frauen von Rosa Salva. Göttingen: Wallstein, 2014.

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