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Christoph Geiser: «Da bewegt sich nichts mehr»

Christoph Geiser:
«Da bewegt sich nichts mehr»

 

Wenn man sein Leben lang glaubt, in die Hölle zu kommen, nur um schliesslich vom Teufel zu erfahren: «Oh, da gibt es aber schlimmere Finger als du», dann ist das ein bisschen ärgerlich. Und ein bisschen verhält es sich so auch mit diesem Erzählband von Christoph Geiser. Drei spektakuläre, an Grausamkeit kaum zu überbietende Mordfälle werden uns in «Da bewegt sich nichts mehr» aufgetischt: ein pädophiler Kindsmord in Ostdeutschland, einem Berliner Nachtklubbesitzer wird in der Badewanne die Kehle durchgeschnitten, der Leiche eines australischen Teenagers fehlt ein Stück Darm. In ironischem Kontrast dazu begegnet uns ein Erzähler, der in Berlin ein geruhsames, von Gewohnheiten bestimmtes Dasein fristet: er schneidet seine Rosen und verzehrt in seinem Lieblingsrestaurant ein hausgemachtes Cordon bleu mit «Leipziger Allerlei». Er träumt vom Tabubruch, der Entgrenzung, vom Leben am Abgrund – und findet es in den Boulevardblättern, wo er die Berichterstattung über die Mordfälle mit pedantischem Eifer verfolgt. So dramatisch diese Fälle sein mögen, es sind und bleiben doch Boulevardstorys, ebenso schrecklich wie seicht. Den Erzähler scheint dies nicht zu stören, ja es macht gar den Anschein, als genüge ihm das Oberflächenspektakel, weil er gar nicht wissen will, was sich darunter für Abgründe auftun.

«Wann hast du dem Knaben die Hose wieder hochgezogen?», schickt er dem Kinderschänder eine Frage von zweifelhafter Dringlichkeit in die Verdammnis nach. Was derart schlüpfrig und pathetisch daherkommt, gewinnt immer dann an Überzeugungskraft, wenn das Renommieren mit dem Abgrund von der eigenen Lebenssituation gebrochen wird: wenn er in seiner Stammkneipe verstohlen den beiden athletischen Kellnern nachträumt und dabei vom Gefühl beschlichen wird, in seinem hoffnungslosen Hoffen seit Jahren schon entlarvt zu sein. Wenn er die Selbstironie zulässt, kein Marquis de Sade zu sein, sondern eben doch bloss ein de Sade in Finken. Der Voyeurismus erscheint dann nicht mehr als Fenster zum Exzess, sondern als Ausweg aus der absurden Langeweile. In diesen existentiellen Momenten ist das Buch tatsächlich voller Poesie und Abgründigkeit.

Die mit Abstand beste Erzählung ist denn auch «Down Under». Hier erinnert sich der Erzähler an einen Schriftstellerkongress im Australien der Siebziger. Zur selben Zeit, nur wenige Kilometer vom Kongress entfernt, trieb damals ein Mörder sein Unwesen, der seine Opfer, durchweg männliche Teenager, erst unter Drogen setzte, um sie später anal zu verstümmeln. Der homosexuelle Erzähler strielt nachts in den Parks umher, von doppelter Furcht getrieben: von der Furcht – in einer Zeit, da Homosexualität in Australien verboten war –, entdeckt zu werden, und von der Furcht vor dem Mörder. Wie er diese beiden Ebenen übereinanderlagert, ist absolut meisterhaft. Auch sind es in diesem Fall für einmal nicht Zeitungsblätter, sondern seine eigenen Tagebucheinträge, über denen brütend der Erzähler zum Sebald wird. Befreit von der biederen Enge des Boulevardgeplänkels schwingt sich die Sprache zu einer luftigen Radikalität auf. Man merkt und ärgert sich zugleich, was Christoph Geiser alles kann – wenn er nur etwas häufiger sein Tagebuch und etwas seltener den Boulevard zelebrierte.

Christoph Geiser: Da bewegt sich nichts mehr. Zürich: Die Lunte im Spiegelberg, 2016.

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