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Laura Vogt, zvg.

«Du wirst was bieten müssen!»

Die ellenlange Checkliste für Kindergeburtstage.

Stolz blickt der Dreifachvater auf die buntbedruckte, mit einer Elefantennase aus Papier versehene Süssigkeitentüte in den Händen seiner ältesten Tochter und zählt, schon zum zweiten Mal, auf: «Motto wählen, Location reservieren, Dekoration besorgen, Give-aways einkaufen, Kuchen bestellen. Guck dir mal die Checkliste für Kindergeburtstage an!»

«Mal sehen», sage ich und wende mich ab. Ein Stückchen Torte drückt in meiner Speiseröhre. Es ist zum Kotzen. In solchen Momenten gebe ich Isabelle Lehn recht, wenn sie in ihrem Roman «Frühlingserwachen» (S. Fischer, 2019) schreibt: «Kinder kriegen (…) muss ähnlich sein wie Kapitalismus: Die meisten Eltern sind unglücklich. Alle wissen darum, aber jeder für sich glaubt, es packen zu können. Und wer es nicht packt, ist halt selbst der Idiot.»

Ich mag Lehns Zynismus, der im Roman immer wieder aufflammt, gerade jetzt, wenn ich über die Wiese blicke und die von Süssigkeiten aufgeblähten Kinderbäuche sehe. Sind Elternsein und Kapitalismus nicht überhaupt ziemlich eng verknüpft? Wenig ist so konsequent durchkommerzialisiert wie diese Welt. Der Kinderwagen muss nicht nur super funktional, sondern auch stylisch sein, zum Lieblingsfilm meiner Tochter gibt es ein ganzes Fanartikelsortiment. Verweigerung? Schwierig. In den Worten des Dreifachpapas gesagt: «Machst du nicht zur Genüge mit, ist dein Kind bei den andern halt unten durch.» Und mich packt schon wieder das Schaudern, das sicherlich auch Isabelle Lehn – die Romanfigur, die genauso heisst wie die Autorin – überkommen würde. Sie hat keine Kinder und arbeitet sich in «Frühlingserwachen» unter anderem an ihrem Wunsch ab, Mutter zu sein. Ein Wunsch, der scheinbar aus dem Nichts kommt, eher aber: aus den Untiefen der Gesellschaftsnorm. Denn an vielen Tagen weiss Isabelle ganz genau: «Kein Kind zu haben sichert mich ab. Es nimmt mir die Angst vor der Welt (…).» Ja, ohne Kinder keine Verantwortung für einen Zweiten und damit kein Zwang, auf der grossen Eltern-Kind-Party bunte Tüten mit möglichst viel Zucker zu füllen. Ich lasse mich ins Gras fallen. Erst mal sacken lassen. Und wieder Anlauf nehmen. Neu denken. Später. Ich bin schon wieder unterzuckert.

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