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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser

Als in den Mittagsstunden des 13.11. bekannt wurde, wer den «Schweizer Buchpreis» erhält, ging verhaltener Jubel durch den Schweizer Literaturbetrieb. Während die einen die Würdigung Christian Krachts für längst überfällig hielten und andere die Vergabe in den sozialen Medien immerhin mit einem wortlosen «Like» kommentierten, wurden auch rasch Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass Kracht sich nach der Entgegennahme seines Blumenstrausses doch wortlos von der Basler Bühne gestohlen und dann, Heilandsack!, sogar ganz verzogen habe. Bald wurde dem Preisträger implizit oder explizit unbotmässiges Verhalten vorgeworfen – ganz so wie wenige Wochen zuvor dem Literaturnobelpreisträger Bob Dylan. Wieder andere suggerierten, Krachts Verschwinden sei seine Masche, dröges Drumherum, so Martin Ebel im «Tages-Anzeiger»: «Kultiviert da einer die Aura des unnahbaren Genies? Ist Kracht soziophob?» Der Dichterin Nora Gomringer platzte schliesslich auf Facebook der Kragen: «Das DARF der Autor. Er darf überwältigt sein und furchtsam oder entnervt, müde, zu schüchtern, das alles zu ertragen.»

Zu diesem Zeitpunkt war unser Schwerpunkt mit dem Titel «Das Weite suchen» (ab S.6) weitgehend fertig, auch die Begegnung mit Christian Kracht (S.16) hatte längst stattgefunden. Umso schöner, dass dieser Auftritt des Autors – und vor allem: die Reaktionen darauf – die Aussage, die einige Texte des Schwerpunkts teilen, nur unterstreicht: es gibt für Schriftsteller gute Gründe, nicht nur von der Bühne, sondern gleich über die Grenze zu verschwinden. Einer davon ist, dass das Land und sein teils recht eingefahrener Literaturbetrieb jede Menge ungeschriebene Gesetze kennen, nach denen handeln muss, wer hier dauerhaft reüssieren will. Wer auf diesen Umstand hinweist, wird zurechtgewiesen oder in die Ecke gestellt wie ein ungezogenes Kind, und wer nicht nach der Flöte von gut eingefahrenen Verbänden oder den Kodizes der Kritiker tanzt, zieht nicht selten deren heiligen Zorn auf sich.

Wen wundert es also, dass viele der wenigen Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Weltrang – bis in die Gegenwart hinein – eine biographische Besonderheit teilen: sie verbrachten oder verbringen grosse Teile ihres Lebens im Ausland. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe ist ihnen und ihren vielfältigen Motiven, Ideen und Leistungen gewidmet, denn danken sollten wir eigentlich ihnen, nicht umgekehrt.

Viel Vergnügen!

Michael Wiederstein

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