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Editorial #17

Liebe Leserinnen und Leser Erst sorgten sie vor allem für Umwege, dann für Entbehrung und Landflucht, wurden trotzdem erkundet, kartographiert und bald «erobert», schliesslich romantisiert und untertunnelt. Das alles hat die Alpen kalt gelassen – sie und ihre Bewohner trotzdem tiefgreifend verändert. Wer heute mit Postauto, Zug und Drahtseilbahn bequem bis vollklimatisiert durch die Alpen […]

Editorial #17

Liebe Leserinnen und Leser

Erst sorgten sie vor allem für Umwege, dann für Entbehrung und Landflucht, wurden trotzdem erkundet, kartographiert und bald «erobert», schliesslich romantisiert und untertunnelt. Das alles hat die Alpen kalt gelassen – sie und ihre Bewohner trotzdem tiefgreifend verändert. Wer heute mit Postauto, Zug und Drahtseilbahn bequem bis vollklimatisiert durch die Alpen reist, mag sich über «unberührte Natur» freuen, vom «echten» Leben auf der Alp träumen, gut und gern auch stattliche Summen fürs «Schlafen im Stroh» ausgeben. Dabei besteht für manchen Teilzeitbergler der Reiz dieser Idyllen wohl auch darin, dass man sie meist ruckzuck-zackzack wieder verlassen kann. Eins ist aber sicher: Vierwaldstättersee, Schilthorn, Matterhorn, Monte Verità – egal, welche (vor)alpinen Sehnsuchtsorte wir auch ansteuern, die Geschichten von ihnen waren schon vor uns da, haben die Flur bereitet für das, was wir vorfinden möchten. Abgesehen vom Mittelmeer wurde keine andere Landschaft Europas so mythologisiert und durch Geschichten und Erzählungen aufgeladen wie die Alpen.

Diese Literarisierung der Alpen ist mächtiger, als man zunächst denken mag: Dass die Zentralschweiz heute eher von Touristen als von der Reuss geflutet wird, der Piz Gloria dank 007 zur 08/15-Werbeplattform verkommt, ja sogar der Matterhorngipfel unter geführtem Greenhorn-Dichtestress leidet und – einmal durchatmen – auch der Charme Asconas längst zubetoniert ist, spielt, solange wir an die schönen Imaginationen dieser Orte glauben, eine untergeordnete Rolle. Die Geschichten über die Bergwelt, so könnte man sagen, sind zu ihrem existenziellen Bestandteil geworden. Ganze Wirtschafts- und Politikzweige sind von ihnen abhängig, ganze Bevölkerungsgruppen berufen sich auf sie.Deshalb ein Heft zum Thema: Unsere Autoren befassen sich mit der Schweizer Literatur aus den Bergen und mit der Schweizer Literatur über die Berge. Das sind grundverschiedene Dinge, wie sich herausstellt. Und grundverschieden sind auch die Zugänge zum felsigen Gegenstand. Wie beeinflusste die Bergliteratur die Schweiz? Wie beeinflusste die Schweiz ihre Bergliteratur? Und warum eigentlich heute noch Bücher über die Berge oder in den Bergen schreiben?

Ich wünsche Ihnen – wie immer – spannende Lektüre! Und natürlich schöne Ferien. Egal, ob inner- oder ausseralpin.

 

Michael Wiederstein ist leitender Kulturredaktor dieser Zeitschrift.

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