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Heller Witz vor dunklem Glanz

Was soll man von Gottfried Keller lesen? Egal. Die Lektüre Kellers ist immer ein Vergnügen.

Schon in den frühen Briefen ist er da, dieser spezielle Ton, lange bevor Keller überhaupt daran denkt, Schriftsteller zu werden. Am 21. Dezember 1840 zum Beispiel schreibt Keller aus München an Johann Salomon Hegi, er habe jüngst mit Freunden «ein neues, bewegliches Fest gestiftet: das Fest der ‹Häutung›. Wir haben nämlich alle drei auf einen Tag neue Röcke bekommen oder mit andern Worten uns gehäutet und haben diese merkwürdige Katastrophe durch ein glänzendes Fest gefeiert und beschlossen, dasselbe alljährlich zu wiederholen; da wir aber nicht versichert sind, immer auf diesen Tag gehörig versilbert zu sein, so hat dieses Fest die Eigenschaft eines ‹beweglichen› bekommen; wie die Ostern etc. etc.»

Dieser Ton wird Gottfried Kellers schriftstellerisches Werk prägen und – von der Forschung als Humor benannt – zum Markenzeichen seines Erzählens. Das ist bemerkenswert: Kellers Leben verlief alles andere als einfach. Als Fünfjähriger verlor er den Vater. Die zweite Ehe seiner Mutter wurde geschieden. Im selben Jahr warf man Keller von der Schule. Seine unglückliche Malerlaufbahn scheiterte früh, und dem Neuanfang als Dichter drohte lange das Gleiche. Die Stelle als Staatsschreiber erlöste ihn zwar aus finanziellen Nöten und brachte ihn in Amt und Würde, behinderte aber die Weiterverfolgung seiner dichterischen Pläne. Auch gewann er keine der Frauen, die er liebte, und blieb nolens volens Junggeselle. Der Erfolg als Schriftsteller kam erst Mitte fünfzig; bis zu seinem Tod blieben ihm gerade 15 Jahre. In dieser Zeit schrieb er den grössten Teil dessen, was ihn im 19. Jahrhundert berühmt machte.

Man braucht die Schattenseiten von Kellers Leben nicht zu kennen, um sein Werk würdigen zu können. Aber der Witz leuchtet heller, wenn deutlich ist, wovon er sich abhebt. Auch Kellers Lyrik öffnet sich so in ihrem dunklen Glanz: «Und nur du, mein armes Herz, / Du allein willst ewig schlagen, / Deine Lust und deinen Schmerz / Endlos durch die Himmel tragen? / […] Ewig ist, begreifst es du, / Sehnend Herz, nur deine Ruh!» – In den Gedichten ist Keller ernst, zuweilen bitterernst. Politischer Kampf, Liebesschmerz, Trauer und Pathos dominieren, dazu etwas staatstragende Festfreude. Als sei die Lyrik gegen das Lachen imprägniert.

Kellers Erzählen dagegen lebt ganz vom Humor. «Sobald man ihn einmal verstanden hat, wird man in einen neuen Kreis von feinster Satire, unaufhörlicher Belustigung und komischer Unterhaltung gezogen und es bildet sich eine eigene Sprache, […] welche […] oft wie ein unsichtbarer Nebel um die Philister duftet.» Was Keller 1846 über den Kupferstecher Johannes Ruff schrieb, kann auch als Selbstcharakterisierung gelten. Tatsächlich ist es diese «eigene Sprache», die Kellers Leserinnen und Leser entzückt und unterhält. Sie ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Ständig wird überprüft oder revidiert, was eben gesagt wurde, und wieder in Frage gestellt, was eben noch Geltung hatte. Das Vergnügen an Kellers Texten resultiert aus dieser ständigen Bewegung der Revision, die auf oft skurrilen Wegen im einzelnen Wort oder über grosse Erzählbögen hinweg ihren Witz zündet.

Gelegentlich geht dieses Experiment sehr weit. «Der Kopf schmerzte mich fieberhaft», liest man im «Grünen Heinrich», «während ich das Geträumte zusammen las. Diese verkehrte Welt, in welcher das im Wachen müssige Gehirn bei nachtschlafender Zeit auf eigene Faust zusammenhängende Märchen und buchgerechte Allegorien nach irgendwo gelesenen Mustern mit Schul-wörtern und satirischen Beziehungen ausheckte und fortspann, begann mich zu ängstigen, wie der Vorbote einer schweren Krankheit; ja es beschlich mich sogar wie ein Gespenst die Furcht, auf diese Art könnten meine dienstbaren Organe mich, d.h. meinen Verstand, zuletzt ganz vor die Türe setzen und eine tolle Dienstbotenwirtschaft führen.» Während Keller hier über Heinrichs Träume spricht, geht es dabei noch um mehr: um eine Poetik von Kellers Schreiben in nuce.

Es ist unser Glück, dass Keller sich von den Ängsten, die seinen Heinrich quälen, nicht einschüchtern liess und die «tolle Dienstbotenwirtschaft» zuliess. Denn genau sie hält sein Werk lebendig – bis heute.

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