Rudolf Bussmann:
«Das andere Du»
Liebe Leute, was tun gegen Trostlosigkeit?» – Mit dieser Frage beginnt Rudolf Bussmanns Roman. Alexis, ein Student aus Kopenhagen, stellt sie auf einer Social-Media-Plattform. Unter den Antworten – «Vitamine einnehmen», «Alte Menschen besuchen», «Kalt duschen» – befindet sich auch eine von Melanie: «In mir hast du eine junge Frau, die mit dir die Trostlosigkeit teilt.» Mit diesen Worten sichert sie sich die Aufmerksamkeit von Alexis. Also schreiben sich die beiden regelmässig E-Mails, woraus sich eine besondere Intimität entwickelt. Eine Intimität, wie sie so nur unter Fremden und über die Anonymität der Schriftlichkeit entstehen kann. Alexis verliebt sich – geübte E-Mail-Roman-Leser ahnen es! – Hals über Kopf in die Person, die er hinter den Nachrichten vermutet. Wie es sich gehört, lässt er sie das auch sofort wissen.
Was verdächtig nach Daniel Glattauers E-Mail-Roman «Gut gegen Nordwind» klingt, nimmt dann doch eine etwas andere Wendung. Die entstehende Beziehung verführt Alexis und Melanie nicht nur zu einer besonderen Nähe und Hemmungslosigkeit, sondern auch zu einem Spiel mit der eigenen Identität. So ist am Ende keiner der, den er zu sein vorgibt. Aus der Trostlosigkeit ihrer realen Leben gelingt ihnen die Flucht in ein anderes mögliches Ich. Natürlich dauert es nicht lange, bis diese Identitäten in sich zusammenfallen und die beiden sich gegenseitig erste Wahrheiten enthüllen müssen. «Erste Wahrheiten» deshalb, weil im Lauf der Versteckspiele hinter immer neuen biographischen Erfindungen immer neue «Wahrheiten» sichtbar werden und eine Enthüllung auf die nächste folgt.
So versucht Bussmann tapfer, Tiefe zu gewinnen und sich den zum auserkorenen Genre gehörenden Klischees zu entziehen. Dabei überfrachtet er den Roman mit zu vielen Themen. Und so bleibt «Das andere Du» am Ende doch nur eine – wenn auch eine unterhaltsame – Liebesgeschichte, die sich über die Form des E-Mail-Verkehrs von Abertausenden anderen abzuheben versucht. Somit fällt das Verdikt ähnlich aus wie bei Glattauer: ein Buch, das man nach dem Lesen in die zweite Reihe des Bücherregals verbannen darf.
Rudolf Bussmann: Das andere Du. Hitzkirch: edition bücherlese, 2016.