Thomas Meyer: «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin»
Zweiundvierzig (forty-two)
Die Mutter! Sie wird, sie muss die Rettung sein. So weit kann Thomas Meyer seinen Leser in die Verzweiflung treiben, dass der nach Mamas Rockzipfeln tastet. Schliesslich war sie es, die ihren Sohn Mordechai, genannt Motti, im enorm erfolgreichen ersten Teil der Wolkenbruch-Reihe «in die Arme einer Schickse» trieb, womit sich alles zum Guten zu wenden schien. Am Anfang des zweiten Teils erfährt der Leser sofort, dass es doch nicht so recht passen wollte mit Motti und der Schickse, der Titel verrät ihm des weiteren, dass Motti nicht solo bleiben wird, aber ansonsten lässt der Zürcher Meyer vieles im Vagen, ja im Argen. Das «waghalsige Stelldichein» gerät bald zu einer irren (aber keineswegs irrwitzigen) Geisterbahnfahrt ohne Streckenplan. Über lange Strecken windet sich der Leser durch einen dunklen deutschen Berg und rumpelt durch zwei, später drei Erlebniswelten – die Mutter kommt, keift, kifft, kann aber erst mal auch nicht helfen.
Erster Raum: Mal gruselig, mal grotesk tobt der Kampf um die Weltherrschaft zwischen Nazis und Juden, eine Fahrt mit mildem Wortwitz und milderem Horror, auf der sowohl Quentin Tarantinos «Inglorious Basterds» als auch Ben Stillers «Zohan» als Fratzen mitwirken. Die deutschen Neonazis sind zwar die hellsten Köpfe auf dem Erdball, hängen aber in einer Art braun ausgekacheltem Kyffhäuser1 fest, die Juden hingegen sind noch so tapsig, trottelig und sympathisch-selbstironisch wie einst bei Ephraim Kishon.
Zweiter Raum: Hochmodern ist es hier, viele Begriffe müssen english gelesen werden. Nun sind es Computersprachassistenten, die sich im Bitch-Fight um die Weltherrschaft bashen, dissen und haten. Die Entscheidung wird fallen zwischen der koscheren «Schoschanna» (einer gehackten Alexa) und dem Faschisten-Griefer «Hassmaschine». Nach der Durchfahrt bleibt allerdings nur ein anhaltend grelles, über allem liegendes Keifen in Erinnerung, als hätte Sibylle Berg die Tonspur geliefert.
Mit diesem Überblick der Route ist der zweite «Wolkenbruch» weitgehend gespoilert – wenn nicht die Mutter wäre. Wie und wo die Gewitterziege zum Dope und zum Glück findet, wird nämlich nicht verraten. Das ist der dritte Erlebnisraum. Kleiner Hint: Es wird wärmer.
Wer bis zum Ende mitfährt, muss allerdings erkennen, dass zu all den paradoxen Problemen – Rassismus und militanter Nationalismus, verkrustetes Denken in Klischees, Orthodoxie und Weltoffenheit, Macht der digitalen «Maschinen», Kontrollverlust staatlicher Systeme – keine ursächliche Frage gestellt wird. Keine Augenbraue hebt sich. Kein neues Licht wird ins Fenster gestellt. Der Leser rumpelt mit, streicht die Hose glatt und steigt aus. Die Fahrt mit der Geisterbahn endet wie Arthur Dents Reise per Anhalter durch die Galaxis; die Antwort auf keine Fragen bleibt: 42.
Thomas Meyer: Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin. Zürich: Diogenes, 2019.
«Kyffhäuser» sind keine Marihuanahöhlen, es handelt sich um einen Berg im deutschen Bundesland Thüringen. In diesem Berg schlummert Kaiser Friedrich I. «Barbarossa» der Sage nach seit 1190, um eines Tages herauszureiten und das Deutsche Reich zu neuem Glanz zu führen. ↩