Urs Schaub:
«Der Salamander»
Kriminalkommissar a.D. Simon Tanner, der zu seiner Geliebten auf die Schären ausgewandert war, kehrt zurück ins Seeland. Und wie er an jenem nebelverhangenen Novembertag aus dem Regionalzug steigt, stürchelt er auch schon in seinen nächsten Fall: Vor ihm steht ein verschatteter junger Mann in dünnem Anzug, den Koffer fest an sich geklammert. Bis wir erfahren, was das Gepäckstück, das Tanner gutmütig bei sich aufbewahrt, enthält – ein blutbeflecktes Abendkleid mit Schusslöchern und ein salamanderförmiges Schmuckstück –, mäandert die Geschichte episch umher. Wir sind auf dem Lande, wo auch Kühe jede überflüssige Bewegung scheuen. Erst in den letzten Kapiteln überstürzen sich die Handlungen. Dazwischen bleibt viel Zeit für maulfaule Stammtischverbrüderungen und schwelgerische Essorgien. Tanner ist älter geworden, Essen sein neuer Sex. Kopulierte er in seinen früheren Fällen alle paar Seiten mit einer anderen Frau und liess die Leser wissen, wie «sein mächtig erigiertes Glied hin und her schwengelt, als wäre es der Klöppel einer Domglocke bei Feueralarm», schildert er jetzt mit enervierend pornographischer Detailtreue, welche Mahlzeiten er verspeist.
Nur hin und wieder – der 62jährige Autor Urs Schaub muss seinem Ruf gerecht werden, er habe die Schweizer Krimi-Literatur erotisiert – geht es hurtig zur Sache, und eine Dreiviertelstunde nach Tanners erster Begegnung mit einer Boutiquebesitzerin liegen sie aufeinander. Das klingt dann wie die Karikatur einer Altherrenphantasie: «Volle Brüste, deren Spitzen weit abstanden», «ihr dunkler, starker Pelz», «ein Glied, das mächtig von ihm abstand» – über den Rest legen wir den gnädigen Mantel der Verschwiegenheit und wünschen uns, der Autor hätte dies ebenfalls getan.
Bei diesen Exkursen geht das Krimi-Thema gelegentlich verloren. Am künstlerischen Handwerk kann es nicht liegen. Urs Schaub war über dreissig Jahre lang als Dramaturg tätig. Aktuell ist er beim Erziehungsdepartement Basel Stadt als Projektleiter für Leseförderung zuständig. Der schulmeisterliche Ton hat auf den Krimi abgefärbt.
Als Ingredienzien kommen dann noch eine Sekte, Missionare in Afrika und die Fremdenlegion dazu, Drogenhandel, eine Maschine, die die Energie im Weltall anzapfen soll, ein unterirdisches Höhlensystem mit Bunkern aus dem Zweiten Weltkrieg… Das wirkt überladen und ist ohne den geringsten Anflug von ironischer Brechung inszeniert, wird in fahlem Graulicht des Winterdämmerns weichgezeichnet. Auch ein eigenbrötlerischer Ermittler, Landidylle wie im Freilichtmuseum und Redeweisen von anno dazumal reissen das nicht raus.
Urs Schaub: Der Salamander. Zürich: Limmat, 2012.