Bern – Bregenz – München:
6 Stunden, 45 Minuten
Immer wieder erstaunt es mich, dass man, um mit einem angenehmen Zug von Bern nach München zu gelangen, über Österreich fahren muss! Die Reise führt über Bregenz – wo man auch noch 17 Minuten warten muss. Nun, wer mit einem Buch in der Jackentasche reist, dem machen 17 Minuten Entschleunigung nichts aus! Diesmal ist es das Romandebüt von Laura Vogt. An ihrem Wohnort, in Sankt Gallen, wo mein Zug auch hält, bloss nicht so lange, strecke ich es in die Höhe, damit alle es sehen können. «So einfach war es also zu gehen» ist ein bemerkenswerter Roman: Helen, eine junge Frau, befreit sich von den Bindungen ihrer Familie, von ihrem früh gegangenen Vater. Ihre Befreiung ereignet sich gleichzeitig zur Befreiung des Volkes ihres Geliebten Khaled in Ägypten. «Ich wurde mir erst in meiner letzten Kairoer Nacht, am Tag des Zorns, ansatzweise der Wucht, der Grösse dieser Bewegung bewusst.» Noch ahne ich nicht, dass sich diese, ihre Geschichte mit einer anderen, meiner Geschichte in München spiegeln wird.
Ruth Hilpert sollte mich im Hotel abholen, um mich zum Ort meiner Lesung zu bringen. Bloss: sie hat vor dem falschen Hotel gewartet. Ich solle zum Karolinenplatz gehen, dort werde sie in einem Taxi auf mich warten, sagt sie am Telefon. So einfach? «Hör auf, ewig nach Symbolen zu suchen. Lass das doch einfach laufen.» Ich gehe.
Niemand da. Zufällig hält ein Wagen. Der Fahrer will wissen, ob ich etwas suche. Ich gebe das Warten auf und zeige ihm die Adresse des Gymnasiums. «Da wohnen die Reichen», sagt er. Er komme aus Griechenland, fügt er an, und: «Ihrem Akzent nach zu urteilen sind Sie ein Italiener aus der Schweiz!» Er lacht, ich steige ein, wir fahren los. Am Ziel warten tatsächlich Ruth Hilpert und die vier Schulklassen. Am Abend wird sie mir erzählen, dass sie mit ihrem Freund eine ähnliche Geschichte erlebt hat wie Helen und Khaled. Bald wird sie zu ihm fliegen.
«Ich wusste, ich brauchte einen anderen Ort.» – So einfach ist es also zu gehen.