Fitzgerald & Rimini: Im Bann der Störgeräusche
Die Grenzen zwischen Literatur und Musik ausloten.
Seit 2005 steht das Duo Fitzgerald & Rimini auf der Bühne und lotet die Grenzen zwischen Literatur und Musik aus. Poetin Ariane von Graffenried (Fitzgerald) spannt Fäden zwischen Mundart, Hochdeutsch und Englisch, während Komponist Robert Aeberhard (Rimini) Räume öffnet, in denen szenische Lesung, Klangcollage, «Spoken Word» und Musik auf Augenhöhe miteinander verkehren.
Auf dem neusten Werk «50 Hertz» nehmen Aeberhards Musik und von Graffenrieds Sprache(n) acht Heldinnen der etwas anderen Art ins Visier: etwa «Walentina Tereschkowa – Die erste Frau im Weltraum», «Fräulein Rottenmeier» aus «Heidi» oder einen Sexroboter («Harmony – pensées einer KI»). Die Heldinnenepen werden von Störgeräuschen begleitet, die sich unter die Musik mischen. Die Palette reicht von Stahltüren, die jaulen wie eingeklemmte Walfische, bis hin zum «Pfeifen eines Bernmobil-Fahrkartenautomaten». Roter Faden ist alles, was 50 Hertz hat, also Starkstrom ist – Puls unserer Gesellschaft. Eine Palette gar nicht so störender Störgeräusche.
Im Auftaktstück dichtet von Graffenried über «Walentina Tereschkowa»: «Us dr Ferni isch dir d Wäut / so nach wi nie.» Das ist eine Beobachtung, die auf «50 Hertz» als Ganzes zutrifft. Auch dieser Musik und diesen Zeilen fühlt man sich oft erst so richtig nahe, wenn sie verklungen sind und das Büchlein zugeklappt.
Denn «50 Hertz» ist ein Werk, das immer wieder gehört/gelesen werden will. Dass es sich dann erst so richtig entfaltet, liegt an einer Art produktiver Überforderung beim Hören. Zwischen Text, Musik und «Störgeräuschen» ist so viel zu entdecken, dass es Zeit braucht, um zu sagen, warum dieses oder jenes Gedicht oder Lied (wer will es schon unterscheiden?) einem gefallen hat. Die Ununterscheidbarkeit von Musik und Literatur ist der grösste Unterschied zu den Vorgängern «Grand Tour» (2015) und «Aristokratie + Wahnsinn» (2011). Wo Musik und Literatur einander gegenüberstanden, kann es auf «50 Hertz» passieren, dass ein elektronisches Pfeifen oder eine Grunge-Gitarre den Text wortlos weiterspinnt.
Nebst literarisch-musikalischen Anspielungen («Revolution ist immer live») kommen wir in den Genuss grandios witziger Stellen: «O Walentina, / au di Stunde ir Zentrifuge hei nüüt gnützt», muss die Kosmonautin auf ihrem Höllenritt feststellen. Manchmal vermisst man vielleicht die Aggressivität früherer Lieder/Gedichte («Bermondsey») oder das eine oder andere betrunken galoppierende Klavier («Warschau»). Aber das macht nix. Denn «50 Hertz» schafft etwas anderes: einen Raum, in dem Musik und Literatur mit Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ineinander übergehen.
Fitzgerald & Rimini: 50 Hertz (Buch und CD). Luzern: Der gesunde Menschenversand, 2019.