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Antoinette Rychner: «Der Preis»

Antoinette Rychner: «Der Preis»

Antoinette Rychner hat einen modernen Künstlerroman geschrieben: scharf- und feinsinnig, voller aussergewöhnlicher Bilder.

«Ich bin nicht der, der ich sein sollte», bemerkt der Bildhauer zu Beginn. Er gebiert Röpfe aus seinem Bauchnabel. Seit Jahren hofft er, einmal für einen Ropf den Preis zu bekommen, einmal einen Ropf zu erschaffen, den andere Menschen singen hören. Der Bildhauer durchlebt die Leiden aller Künstlerinnen und Künstler: zu wenig Ruhe zu haben, zu wenig Zeit, zu wenig Macht, den kreativen Prozess zu kontrollieren, und die Hoffnung, dass alles besser sein könnte, wenn da nicht die anderen wären, seine Familie, seine Frau S, Chnopf und Chnopfzwo, die Ansprüche stellen, Geräusche machen und deren Liebenswürdigkeit ihn dabei stört, seiner Berufung konsequent zu folgen. Denn das Glück findet sich doch tatsächlich nicht nur im künstlerischen Schaffen, sondern auch bei ihnen – S kann ein Meer sein und mit Chnopfzwo fühlt sich ein Lachen an wie konservierte Ewigkeit. Der Ruf der Muse aber ist unerbittlich, und solange der Preis nicht gewonnen ist, kann der Bildhauer nicht glücklich sein.

Antoinette Rychner hat einen modernen Künstlerroman geschrieben – der Bildhauer kämpft um ein vollkommenes Werk, das er ganz wörtlich aus sich heraus schöpft, während die Welt ihn zu verkennen scheint. Woran der Bildhauer verzweifelt, ist Rychner gelungen: Sie hat eine Sprache gefunden, die scharf- und feinsinnig, voller aussergewöhnlicher, skurriler Bilder das alte Problem in seiner gegenwärtigen Komplexität beschreibt. Denn für diejenigen, die sich selbst als Genies verstehen, gibt es keinen höfischen Schutzraum mehr und nur noch wenig verlegerischen, keinen Mäzen, dessen Gefallen allein ein Werk bezeugen könnte. Über die Daseinsberechtigung des Künstlers entscheidet der Preis, d.h. eine Jury, deren Bewertungskriterien dem Bildhauer aber unverständlich bleiben. Gleichzeitig muss er sich mit der Welt auseinandersetzen, mit der Konkurrenz messen, muss Geld verdienen oder zumindest sich der Gemeinschaft gegenüber respektvoll zeigen, die ihn liebevoll stützt.

Und schliesslich muss er sich fragen, was eigentlich gewonnen wäre, mit diesem Preis. Was wissen die Jurymitglieder, die ihn nicht für preiswürdig halten, tatsächlich über Wahrheit, wenn sein Werk einen Lagerarbeiter zu Tränen rührt? Mit welchem Mass misst man Erfolg? Und wann ist man eigentlich, wer man sein möchte?

«Der Preis» ist eine kritische Reflexion über das Streben nach Anerkennung und das Selbstverständnis als Künstler. Absolut frei von Kitsch ist es ein kluges Buch über Willenskraft, Zeit, Alltag, Hoffnung und Liebe.

Antoinette Rychner: Der Preis. Aus dem Französischen übersetzt von Yla M. von Dach. Biel: verlag die brotsuppe, 2018. 

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