Freude an der Schweiz
Für seinen Debütroman «Farantheiner» erhält Patrick Savolainen einen der Schweizer Literaturpreise 2019. Lesen Sie hier exklusiv für den «Literarischen Monat» verfasste Gedichte des Autoren.
«Freude an der Schweiz» – Jürg Reinhard, 2013
seelenwanderung
Ottmar Hitzfeld unterweist das jugendkader in palingenese
für einmal jungs den ball nicht zu flach halten spielt
parabelflüge sucht die ecken im morast verwaltet
eure haare im abflusssieb einzeln als —
betont die stille mit einer briefwaage
wägt ihr das gewicht eurer tritte im schnee
bitte schicksalssanft und hingebungsstark ja
traut keinem allzu geraden begehren
erster fc minerva eulenflügelschlag im dämmerlicht
spielt auf das ende hin nicht auf den schluss
cartapesta
frühmorgens exerziert
Christa Rigozzi die lektüre
feiner seelenarchitekturen
in der wartetraube vor dem
detailhändler reihenhäuser
bunker chalets kirchenbauten
weihnachtssternblättrig der
bauriss einer zitadelle im
brustkörbchen rüstig
wirft ihr das rentnerlein
fiese blicke zu durch
schiessscharten Christa
versteckt sich beim betreten
der filiale in der apsis einer
jungen mutter liest mit
zünftig epoché weiter in
epochen was ist gelebtes
anderes als ablagerungen
von weltzeit am stockzahn
pappmachés vorvergangener
torbögen schindeln giebel
was ist verlebtes anderes als
eine begangene sargdecke
bahrtuch aus schiffon jemine
ich seh tatsächlich in die seelen-
häuschen rein pfeiler äh pilaster
kehlchen pfeifen vergnügt
von der schmuckfläche kein
sturz
hält
nom de guerre
Bernard Thurnheer trollt an sonntagen pseudonymisiert
durchs weitverteilte web sprenkelt foren und folianten
mit glühender desinformation irrwitzelt sportstatistik
unters weltgeschehen an vorbeiscrollende tafeln getippte
alchymien zinnrot im gesicht quecksilbrige finger
wirft sich Beni in deckung zieht distinkte blank zielt
hinter brandmauern auf uhu und gnu schiesst sports-
männisch aus der hüft kerzen und krautrübensalat lädt
nach – lädt nach lässt schliesslich alle zügel schiessen oje!
vis-à-vis werden dito eisen bedient perkussionsterzerol
hol die haubitze usem keller Kathrin! ein schächtelchen
zigaretten wär auch nicht schlecht derweil sich der flinke
index jämmerlich verklickt klick oweh! oha! aha! zurück
aber dalli! ehe der querschläger seinen schützen trifft
dôle
beim weinrebenschnitt ehebricht Joseph Blatter
mit der geliebten der freundin der frau dritter ehe
hantiert schattenbetupft und schweissbefleckt an
allerlei gewölbtem unter der lauten märzsonne
schiesst der saft schon in die stöcke holʼs der theodor
wird das ein jahrgang morgen schenk ich reinen
tisch mach klaren wein keltert Sepp bei bald hundert
grad oechsle begehren auf die mostwaage sitten
spatzt er seiner geliebten ins ohr ist seit anno
denkmalschutz beburgt wie holz vor dem herrn
fünf ster sechs ster sieben matrosen liessen sich
auf deinen lippen leicht die rhone runtersegeln
sei’s mir vergönnt eine letzte liebelei da schlägt
das göttchen allah gerne seine wimpern im
obergoms liegt noch immer schnee heisst Sepp
schliesslich nicht: gott hat hinzugefügt?
Zu Savolainens ausgezeichnetem Roman «Farantheiner» (verlag die brotsuppe):
Von Claude Simon, der zunächst Maler war, hat man gesagt, er sei es auch als Literat geblieben. Von Patrick Savolainen, der hauptberuflich Grafiker ist, kann man das wohl kaum sagen. Obwohl Savolainen, 1988 in Malaga geboren, einen ähnlich eigenwilligen Umgang mit der Sprache pflegt wie Simon, schafft er in seinem Debütroman keine Bilder, sondern dekonstruiert sie. Zwar stellt er eine Handlung vor, aber statt sie zu inszenieren, inszeniert er auf ihrer Grundlage die Bedingungen des Erzählens.
Savolainens Roman basiert auf einem Plot, dem er auf eigenwillige Art immer wieder neu die Spannung nimmt. Was Coleridge im 19. Jahrhundert die «willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit» genannt hat, verhindert er, indem er Phrasen vorführt, die charakteristisch sind für Trivialromane – in immer wieder neuen Wendungen, bis zur Unkenntlichkeit wiederholt. Und wenn man von Claude Simon gesagt hat, seine Bücher ermöglichten dem Leser eine neue Art zu sehen, so lässt sich von «Farantheiner» durchaus behaupten, hier könne man das literarische Sprechen neu erlernen. (Laura Clavadetscher)
Ein Zitat aus dem Werk:
«Beim Betrachten dieses Punktes war es ihr, als dehnte er sich aus – indessen ohne sich zu vergrössern, und als flössen das unvermittelt Erlebte, aber auch Erinnerte und Erzählte in diesen Punkt hinein. Ohne sich zu verschieben, dehnte er sich weiter aus. Und so stürzten auch alle Bilder und Spiegelungen der vorhergegangenen und nächsten Tage und alle Gewissheiten und Möglichkeiten, davon zu sprechen, in diesen Punkt hinein. Alles war einerlei und darin verschieden. Sie brauchte nur davon zu erzählen.»
Fotos: Maurice Haas