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Rudolf Bussmann:  «Ungerufen. Gedichte.»

Rudolf Bussmann:
«Ungerufen. Gedichte.»

In seinem neuen Gedichtband «Ungerufen» spielt der Oltner Schriftsteller Rudolf Bussmann mindestens ein cleveres Doppelspiel.

In seinem neuen Gedichtband «Ungerufen» spielt der Oltner Schriftsteller Rudolf Bussmann mindestens ein cleveres Doppelspiel. Ungerufen? Nein, niemand hat auf diesen Gedichtband gewartet, danach geschrien, und doch sind wir, das ahnungslose Publikum, direkt in den Titel miteinbezogen. Ob wir uns rauswinden wollen oder nicht: Wir gehören dazu. Und «Ungerufen»: In diesem Band stehen eben nicht die «Dinge», die man womöglich vorfinden möchte, weil es die Dinge in den Lücken sind, die wir, bisweilen etwas schelmisch, zu füllen verpflichtet werden, immer wieder. Beispielsweise, wenn ein ganzes Kapitel Minimal Poems englische Titel trägt und völlig unklar ist, warum. Oder wenn manche politische Titel auf den ersten Blick gar nicht zum Text passen mögen. Manche Lyrik ist komfortabel, manche unbehaglich. Dann, wenn wir sie jagen müssen.

Gerade wer von Dichtern einen geschlossenen Stil erwartet, wird von Bussmann immer wieder in die Irre geführt, vom vermeintlich harmlosen Naturgedicht zu konkreter Poesie. Bei Bussmann zählt alles: Form, Inhalt, Titel, Schriftsetzung. Und zwar so sehr, dass man meinen könnte, er würde dem herkömmlichen Gedichtelesen   – dem getrennten Lesedenken  – den Krieg erklären und mit jedem Richtungswechsel uns fragen, was wir hier überhaupt lesen, warum wir es tun und wie wir es tun.

Bussmann lässt uns in seinem poetischen Kosmos fundamental alleine – oder wie es David Foster Wallace in «This Is Water» beschrieb: «imperially alone». Von imperially, also «das eigene Reich betreffend», zu to imperil, also «gefährden», ist es nicht mehr weit. Die Frage nach dem Nichtverstehen, der Erklärungslücke, birgt also eine gewisse Gefahr in sich.

In «Ungerufen» erscheinen zwei biblische Figuren: Lot (im ersten Kapitel) und Hiob (im letzten). Der eine Opfer der Umstände und ewiger Zögerer. Der andere Opfer schier unmöglich zu schulternder Bürde. Zu Lot: «Reibe dir Staub in die Augen / Schau dich nicht um.» Zu Hiob: «Auch der Miststock, auf dem er sitzt / Ist nicht von ihm.» Ist das fundamentale Verstehen aller Dinge bei Bussmann in Gefahr? Nein! Denn Bussmann weigert sich, in einem Stil einzuschlafen, will wach bleiben, ständig auf den Zehenspitzen stehen, auch wenn es anstrengend ist: «Wir warten weiter, bis er kommt / Den wir erwarten, nein, du bist es nicht / So warte du / nun auch.» Worauf warten wir denn? Auf nichts. Auf das Alles im Nichts. Sicher ist nur: Wir sind.

Hier ist alles gleichzeitig präsent und abwesend, explizit implizit, und diese gefühlte Ambivalenz stiftet Verwirrung, provoziert Widerspruch. Aber warum ist so sperrige, aufmüpfige Lyrik wie die Bussmanns so wunderbar? In «Insister. À Jacques Derrida.» (2006) schrieb Hélène Cixous: «Die [Literatur], die uns interessiert. Die, die ans Unentscheidbare schreibt […] Das ‹literarische›, sprich das verunentscheidbarte Schreiben hat einen Unwahrscheinlichkeitsstatus  – es entzieht sich […] Ich liebe, dass es sich entzieht […], um auf das Lesen zu achten, sprich auf das Leben zu achten, ohne zu wissen, verfolgen, unermüdlich, unbetrüblich, dem Fluchtwesen, den Fluchtbriefen der Fluchtwesen auf den Fersen.» Bussmann ist auf der Flucht. Und wir hinterher.


Rudolf Bussmann: Ungerufen. Gedichte. Luzern: edition bücherlese, 2019.

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