Jill Alexander Essbaum:
«Hausfrau»
Die Hausfrau, Glamour oder putzkittelgraues Unglück? Auf Dolce-&-Gabbana-Werbephotos waschen Müttermodels in ausgeschnittenen Leopardenkleidern Teller per Hand; in der TV-Serie «The Real Housewives of Orange County» haben sie glattgeföhnte Haare und Porzellanhaut, tragen Herve Leger schon beim Frühstück – und bespitzeln zwischen Schönheits-OPs andere Nachbarinnen. Vielleicht sind sie nicht ganz glücklich, aber sie wissen ihre Tage zu füllen. In Romanen wurden gelangweilte Ehe- und Hausfrauen zu Kurtisanen, tragischen Heldinnen. Anna Karenina, dann Emma in Flauberts «Madame Bovary» (1857), einem der bedeutendsten Romane der Welt: inspiriert von Ritterromanen beginnt Emma, enttäuscht vom monotonen Leben in der Provinz und ihrem behäbigen Ehemann Charles, ein Verhältnis mit einem Kanzlisten und dem adeligen Provinzbeau Rodolphe, treibt darüber ihre Familie und sich selbst in den Ruin.
In Jill Alexander Essbaums Romandebüt «Hausfrau» ist der Weg einer gelangweilten Zürcher Expat-Hausfrau in immer grösseres Unglück weder glamourös noch erhaben-tragisch. Es ist depressiv, bestürzend grau, einsam: Anna, Bankerfrau des Credit-Suisse-Angestellten Bruno – mittleres Management, gutes Gehalt, dröge, durchschnittlich aussehend, leicht herablassend – und Mutter dreier Kinder, ist Hausfrau. Solider Mittelstand, ein durchschnittlich grosses Haus in Dietlikon; in der Nähe wohnt die Schwiegermutter, zum Babysitten. Anna fühlt sich nach neun Jahren Schweiz immer noch fehl am Platze; Deutsch spricht sie kaum, schon gar nicht Schwyzerdütsch, empfindet sich als uneleganter, tollpatschiger, unzulänglicher als einheimische Frauen. Einsamkeit, Heimweh und Fremdheitsgefühle wecken den Wunsch nach sexueller Abwechslung jenseits des eigenen Ehebettes. So wird Anna in einem Deutschkurs der «Klubschule» zur Verführerin ebenfalls unspektakulärer Männer.
Eigentlich Dichterin aus Texas und derzeit Literaturprofessorin in Kalifornien, hat Jill Alexander Essbaum ihre Eindrücke der Schweiz ihrer eigenen Zeit in Zürich, als Essbaums Mann am C.-G.-Jung-Institut in Küsnacht studierte, zu verdanken. Sie fand keinen Traum aus Lindtschokolade und Rolex vor, sondern wähnte sich offenbar in einem engstirnigen Gefängnis vor Zürichsee-Kulisse. In der Schweiz, überlegt denn auch Anna, outet schon ein freundliches Lächeln den Amerikaner, die Eidgenossenschaft erscheint als effizient und kalt: Hier, so denkt Anna schon zu Beginn des Buches, haben Züge bloss nur aus einem Grund Verspätung: wenn sich jemand vor sie wirft. «Das Dach Europas» – am schönsten dort, wo es unbewohnbar ist.
Diese moderne Emma aus Dietlikon, getrieben von unerfüllten Sehnsüchten und Träumen, unterscheidet sich dann auch stark von ihrem vermeintlichen literarischen Vorbild: Emma Bovary war freudig-kreativ, verwirklichte in der Affäre mit dem pompösen Rodolphe einen Traum höfischer Liebe, möblierte ihr Haus üppig im Stil alten Adels, beschenkte Rodolphe mit Reitgerte, Gravurring, Schal und Haarlocke, Symbol ritterlichen Treueids. Einen depressiven Zusammenbruch hatte sie erst, als Rodolphe, Emmas aufdringlicher Liebesbekundungen überdrüssig, sich von ihr trennte. Anna hingegen ist vor allem zweierlei: eine phantasielose Frau, abgestumpft, ohne Freunde, Hobbys, Interessen, gleichgültig angewiesen auf die Traumdeutungen ihrer Analytikerin. Was kann also noch passieren, wenn filzpantoffelige Häuslichkeit und Heirat nicht erfüllen, der Schrecken der Langeweile einsetzt, aber auch Sex mit Fremdem nicht Lust und Wonne, sondern Angst vor Kuckuckskindern bedeutet? Genau: zu wenig.
Jill Alexander Essbaum: Hausfrau. Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné. Frankfurt: Eichborn, 2015.