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Michael Bergmann: «Weinhebers Koffer»

Michael Bergmann:
«Weinhebers Koffer»

 

Schriftsteller, Journalist, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent für Film und Fernsehen – der 1945 in Basel geborene, heute in Berlin lebende Michael Bergmann ist ein Tausendsassa. Ein Thema allerdings hat ihn immer intensiv beschäftigt: Jüdischsein im 20. Jahrhundert. Jetzt legt er einen kleinen, feinen Roman vor, in dem es genau darum geht. Nicht wirklich originell ist sein Anfang: Elias Ehrenwerth, der Ich-Erzähler, erwirbt auf dem Trödel einen schönen alten Koffer. Das passende Geschenk für seine Lisa, meint er. Im Koffer steckt eine «angegraute Visitenkarte… Dr. phil. Leonard Weinheber, Berlin-Wilmersdorf, Victoria-Luise-Platz 14». Die Frage, was aus diesem Weinheber wohl geworden sei, lässt Elias schon bald nicht mehr los.

Auch weil ihn an seiner eigenen Gegenwart manches nervt. Lisas Geburtstagsfest gibt Elias die willkommene Gelegenheit, mit den üblichen deutschen Partygesprächen über die Juden und das heutige Israel abzurechnen: « ‹Hört mal zu, ihr Arschgeigen, mit Verlaub›, sagte ich laut, ‹eure Meinung zu Israel interessiert mich einen Scheiss! Denn es ist das einzige Land, zu dem ihr eine Meinung habt! Auf Juden lässt es sich gut rumhacken. Die stecken euch nicht gleich ein Messer zwischen die Rippen, wenn ihr deren Ehre beleidigt.› » Mit Getöse verlässt Elias das Fest, auf dem sich die Kinder der deutschen Täter zu Bewährungshelfern für Israel aufspielen. Zum Verhältnis von Juden und Arabern, einst und heute, hat Elias auch dezidierte Ansichten – was allerdings der langsam Fahrt aufnehmenden Koffergeschichte nicht immer gut tut. Seine Recherchen führen ihn in den Hafen von Yafo, wo Weinheber, 1939 in Marseille der «Adriatica» zugestiegen, eigentlich an Land gegangen sein müsste. De facto aber landete dort nur sein Koffer. Ein paar Kleidungsstücke waren drin, aber auch aufwühlende, anrührende Briefe aus dem Berlin der dreissiger Jahre. Und ein Romanmanuskript aus dem Jahr 1931. Der Autor zitiert ausführlich daraus – und siehe, die zitierten Schilderungen jüdischen Lebens in Deutschland machen Israels Vorgeschichte lebendig. Seine Gegenwart ist sowieso präsent: Da geht die Post ab in den Stranddiscos von Tel Aviv, da gibt es buntes Strassenleben und ein strenges Staatsarchiv. Und da ist Cary, eine uralte jüdische Berlinerin, die Leonard Weinheber als 15-Jährige an Bord der «Adriatica» kennengelernt hatte: «Er war so elegant und so traurig.» Das Geschehen in Deutschland habe ihn verzweifeln lassen, sagt Cary. «Nicht die Nazis sind Deutschland, ich bin es mehr, als sie es je sein werden», habe er gesagt und dabei gewusst, dass ihm das nichts helfen werde. Wie Weinheber endete, weiss aber auch Cary nicht. Doch tief in ihrem Bücherschrank findet sie ein Gedicht von ihm: «Wenn der Morgen kommt, / wird es dein Morgen sein. / Und deine Sonne wird ins neue Leben scheinen. / Dir weist das Meer den Weg ins Licht. / Mich führt es heim (2. Mai 1939, 23 Uhr).»

Weshalb Israel so ist, wie es ist – viele Zeitgenossen wissen das nicht, andere wollen es nicht wissen, und wieder andere haben es vergessen. Michael Bergmanns zarter und trauriger Roman führt es eindringlich vor Augen.

Michael Bergmann: Weinhebers Koffer. Roman. Zürich: Edition Kattegatt bei Dörlemann, 2015.

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