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Jürg Amann:
«Letzte Lieben»

 

Wenn immer mehr Zeitgenossen das Leben hauptsächlich als Kampf begreifen, werden die Liebenden umso wichtiger. Ein seit Jahrzehnten im literarischen Leben der Schweiz präsenter, vielfach ausgezeichneter und seit seinen ersten Büchern als ungewöhnlich feinsinniger Ästhet bekannter Liebender ist der mittlerweile 64jährige Zürcher Jürg Amann. Auch die zehn Erzählungen seines jüngsten Buches, die alle davon handeln, dass mit der Liebe, versteht man dieses Wort nur weit genug, jederzeit und überall zu rechnen ist, muss man dringend zur Lektüre empfehlen. Und das, obwohl es nicht unbedingt um die in Abertausenden von Liedern und Gedichten, Romanen und Filmen durchgehechelte und dennoch weiterhin ominöse Liebe zwischen einem Ich und einem Du geht, sondern eher um die Vielfalt der Erscheinungsweisen, in denen sich so etwas wie Liebe im Laufe eines Lebens offenbaren kann. Deshalb auch der Plural im Buchtitel.

Die erste dieser letzten Lieben gilt der «Frau im Fenster» des Nachbarhauses, einer Frau, über die der Erzähler nichts Konkretes weiss, auch weil er aus Dezenz weder seine Brille aufsetzt noch bei Dritten Erkundigungen einzieht. Der Reiz dieser Liebe und auch dieser präzisen Erzählung besteht aus den zärtlichen Mutmassungen über die Frau – einschliesslich der imaginierten Möglichkeit, dass «der berühmte Blitz» doch einmal einschlagen könnte. Woraus dann nichts wird, natürlich. Ganz anders das Prosastück «Besuch bei den Eltern»: vordergründig eine absurde Berlin-Geschichte, in deren Verlauf sich der Erzähler selbst abhanden kommt, auf den zweiten Blick eine ins Jenseits mündende Wiedervereinigungsphantasie. Eine ganz andere Spielart der Liebe fasst die umfängliche «Eskalation einer Zärtlichkeit» in Worte – eine Geschichte, die wegen ihres offen pornographischen Charakters (nicht soft, sondern hard) mit Sicherheit etliche Leser verstören wird und doch durchaus einleuchtend zum Portfolio dieses Buchs gehört. Träume spielen mehrfach eine gewichtige Rolle, und in der letzten, der titelgebenden Geschichte, einem Rückblick auf die fünf oder sechs Momente in seinem langen Leben, da den Erzähler die Liebe besucht hatte, werden dann auch zwei Bücher genannt, zwischen denen die Atmosphäre des ganzen Erzählbands oszilliert: «Der Nachsommer» von Stifter und «Erste Liebe» von Turgenjew. Gute Ahnherren hat sich Amann da ausgesucht. Er ist ihrer würdig.

Jürg Amann: Letzte Lieben. Zürich/Hamburg: Arche, 2011.

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