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Patrick Deville: «Äquatoria»

Patrick Deville:
«Äquatoria»

 

Der Franzose Patrick Deville setzt mit seinem Roman «Äquatoria» dem Offizier und Afrikareisenden Pierre Savorgnan de Brazza sowie zahlreichen anderen Afrikapionieren und -abenteurern ein Monument. Sein Werk ist eine Verbindungsbrücke aus dem 19. Jahrhundert ins Jetzt, das Panorama der seither vergangenen Zeit.

«Pierre Savorgnan de Brazza / Geboren am 25. Januar 1852 / Zu Schloss Gandolfo in Italien / Möchte gern zur Marine», beginnt ein Volkslied über die Hauptfigur in Patrick Devilles «Äquatoria», das nun auf Deutsch vorliegt. Deville begibt sich darin auf die Spuren von de Brazza, dem «edlen Weissen», einem frühen Kolonialisten, der seine Erwerbungen ohne Greueltaten an sich brachte, einem Pionier, der unentwegt unterwegs war, für die französische Regierung Handelsstationen errichtete und den Fluss Kongo als Handelsroute erschloss. Der im Alter von 53 Jahren am 14. September 1905 in Dakar an einem Fieber verschied und mit einem Staatsbegräbnis verabschiedet wurde.

Mit «Äquatoria» ist Deville ein wuchtiges Panoptikum gelungen. Titelgebend ist der ehemalige gleichnamige Staat, der heutige südsudanesische Gebiete sowie auch Teile Ugandas umfasste. Er war der Versuch des britisch dominierten Ägyptens, einen Modellstaat im Zentrum Afrikas zu errichten – wurde aber bloss Hort einer Handvoll Abenteurer in isolierten Aussenposten. Das Grossartige an diesem Buch ist das Nebeneinander. Die Reise ist nicht bloss eine geographische, sondern auch eine durch die Zeit: Sie beginnt am Montag, dem 2. Januar 2006, in Kap Lopez im westafrikanischen Gabun, wo der Ogowe in den Atlantik fliesst. «Brazza liegt noch immer in seinem Grab in Algier», heisst es da. Mittlerweile (2012) wurde sein Mausoleum, ein über 10 Millionen teurer Bau, in Brazzaville fertiggestellt und die Asche überführt.

Deville steigt plastisch ein. Beschreibt die Säbelschnäbler, die «auf der Suche nach Weichtieren und anderen heissbegehrten Kleintieren … über den Spiegel des Schlicks» rennen, die Tanker, die beladen werden, eine kümmerliche Kneipe, ein junges Mädchen, das kerzengerade hinter der Kasse sitzt und … «wie ein Zepter eine dieser elektrischen Fliegenklatschen» schwingt. Die Hitze drückt, die Moskitos surren. Ein Film in Worten. Nach knapp drei Sätzen ist man angekommen im Gebiet, durch das man die folgenden knapp 400 Seiten navigiert. Es ist abgesteckt mit findigen Zitaten von Céline, Cendrars, Livingstone, Stanley und – selbstverständlich – Joseph Conrad, jenem Autor, der mit «Heart of Darkness» den Übertext zur Thematik verfasste.

In kurzen Kapiteln montiert «Prix des prix littéraires»-Träger Deville Bögen aus dem 19. Jahrhundert ins Heute, beschreibt die Glücksritter, die Seemänner, die Gescheiterten, die Entdecker. Die Unterdrückung, die Geringschätzung, die Grausamkeit. Immer blitzt das heutige Afrika hervor, die (politischen) Prozesse, die es zu dem machten, was es ist. Ein schöner Satz über das arabisch-afrikanische Verhältnis: «Im Gegensatz zu den Europäern, die sofort ihre Fahnen hissen und Kreuze aufpflanzen, haben Araber, die seit tausend Jahren durch diese Gegenden ziehen, kein Interesse an Landnahme und keinen religiösen Bekehrungseifer.» «Äquatoria», diese Montage aus Quellenmaterial und Beobachtungen des Autors, wie man sie im deutschsprachigen Raum etwa von den Romanen Carl Weissners kennt, ist – kurzgeschlossen mit der bemerkenswerten Virtuosität, mit der Deville Szenen schildert, und der umfassenden Recherche – ein Glücksfall, der das allgemeine selbstreferentielle Geschwurbel vieler hiesiger Autoren brutal vom Tisch fegt. Nach der – auch literarisch – verblüffenden Limonow-Biographie von Emmanuel Carrère also wieder ein Franzose, der mit einer Brandbombe das deutsche Literaturdunkel erleuchtet. «Äquatoria» ist ein Pageturner, der bildet, der strahlt, der bleibt.

Patrick Deville: Äquatoria. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Zürich: Bilger, 2013.

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