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«Sex nach einer Geburt, das ist, als ob man eine Gurke in den Flur wirft.»

Kind schaukeln. Schreiben.

«Sex nach einer Geburt, das ist, als ob man eine Gurke  in den Flur wirft.»
zvg.

Sie grinste. Eine Mitarbeiterin habe das so gesagt. Ich rückte mich auf dem Sofa zurecht, das seltsame Klischeebild der «ausgeleierten Vagina» vor meinem inneren Auge.

«Hat sie Kinder?», fragte ich.

«Ich glaube schon», antwortete meine Freundin.

In der Zwischenzeit habe ich selbst ein Kind zur Welt gebracht – und schnell nach der Geburt wieder Lust auf Sex empfunden. Nix mit Gurke im Flur. Ich gab mich Leidenschaftlicherem hin, zum Beispiel den «Argonauten» der US-amerikanischen Schriftstellerin Maggie Nelson. Darin beschreibt die Autorin, wie sie schwanger wird, als sich ihr*e Partner*in Harry Testosteron zu spritzen beginnt. In einer mal poetischen, mal reflexiven und gleichzeitig hochsubjektiven Sprache, durch die sich Nelson auch mit Denkern wie Roland Barthes oder Judith Butler auseinandersetzt, nimmt sie mich mit auf den Weg der Veränderung zweier Körper. Darin liegt Schönheit, Lust und Schmerz zugleich.

Dann die Geburt: «Wir sind im Auto, als der Schmerz zu einem Tunnel wird», schreibt Nelson. Und dieser Schmerz wird ständig tiefer. «Jemand fragt mich, ob ich den Kopf des Babys fühlen wolle, und ich will nicht, ich weiss nicht, warum. Dann, nach einer Minute, tue ich es doch. Hier kommt er. Er fühlt sich gross an, aber ich fühle mich gross genug.»

Auch ich erfuhr, vielleicht ähnlich wie Nelson, wie intensiv und schmerzhaft eine Geburt ist. Aber zugleich ist sie hocherotisch. Fallen lassen, zulassen, sich der Tiefe hingeben. Das ist Geburt und das ist auch Sex. Unkontrollierbar, glitschig, kraftvoll. Ent- und gleichzeitig ermächtigend.

«Lust auf Gurkensalat?», fragte ich meine Freundin, als sie mich das erste Mal nach der Geburt meines Sohnes besuchte, es war März. Ich hielt ihr die in Zellophan eingewickelte Gurke vor die Nase.

«Sind die schon Saison?»

«Weisst du», sagte ich, «Sex vor einer Geburt, das ist wie Gurken-salat im Winter. Schmeckt noch nicht nach wahnsinnig viel. Ist aber auch gar nicht so übel.»

Sie schaute mich erstaunt an. Ich lachte.

«Oder wie wär’s mit Pralinen?»


Laura Vogt
ist Schriftstellerin. Zuletzt von ihr erschienen: «So einfach war es
also zu gehen» (VGS St. Gallen, 2016). In ihrer Kolumne macht sie sich Gedanken zum Schriftstellerin- und Muttersein.

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