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Irgendwann

Da trifft man sich wieder. Und was kommt als Erstes? Ich hab es noch nicht – gelesen, mein ich, gelesen. Gekauft natürlich schon. Nicht dass du denkst. Aber du verstehst. Es gibt so viel anderes. Und momentan ist da einfach ein Berg, so manches zu tun. Bis zur Erschöpfung. Wer könnte da noch lesen, abends […]

Da trifft man sich wieder. Und was kommt als Erstes? Ich hab es noch nicht – gelesen, mein ich, gelesen. Gekauft natürlich schon. Nicht dass du denkst. Aber du verstehst. Es gibt so viel anderes. Und momentan ist da einfach ein Berg, so manches zu tun. Bis zur Erschöpfung. Wer könnte da noch lesen, abends im Bett. Darum, auf dem Nachttisch, du weisst.

Und nun kommt die typische Geste – die Hand bewegt sich bis auf Nasenhöhe, bis zur Stirn. Bei solchen, die gern übertreiben, sogar bis über den Scheitel. Aber irgendwann ist es dann bestimmt so weit. Ganz sicher. Aber was sag ich da, du kennst das ja.

Und wie man das kennt. Nicht den Stapel, aber dieses Begrüssungsritual. Es hat sich mit der Zeit so ergeben. Dass man dich auch mal wieder sieht hier im Norden! Wie geht es, was machst du so, wo bist grad, und bist du noch am Schreiben? Das würde man fast lieber hören.

Wiedersehen macht doch Freude. Man möchte einfach nur ein wenig plaudern. Über dies und das. Über das Leben und die Lage im Allgemeinen und den Alltag im Besonderen. Den Alltag, der nicht viel mehr ist als ein mehr oder weniger sinnvolles Bewältigen der Zeit, eine Auseinandersetzung mit dem, was auch immer ansteht. Sag mal, was steht grad an? Gut siehst du aus. Viel Sonne im Tessin die Tage? Hier wieder wochenlang nur Regen.

Natürlich hat man auch geschrieben, und nicht nur das. Man hat ein Zeichen gesetzt, schliesslich hat man ja etwas zu sagen. Geschichten gibt es zur Genüge. Geschichten, die nicht vergessen gehen sollten. Das könnte man jetzt sagen anstelle von versteh ich gut, geht doch allen gleich und ist ja vielleicht nicht grad das Wichtigste, das Lesen. Irgendwann ist es dann vielleicht so weit.

Und man sieht sein Buch daliegen, auf einem Stapel irgendwo neben einem fremden, ungemachten Bett. Anfänglich noch zuoberst. Das Buch mit seinem schönen Umschlag, in bestem Kleid sozusagen. Darum hat man lang gerungen, um diese einladende Erscheinung. Vom Inhalt gar nicht erst zu reden. Von der Auseinandersetzung mit den Worten, auf der Suche nach der besten Formulierung, bis man dazu stehen konnte, dass da steht, wie es nun steht. Das kann man so stehenlassen, das kann sich durchaus sehen lassen. Und auch lesen.

Langsam legt sich jetzt wohl Staub darüber. Bald wird ein neues Buch kommen und sich den obersten Platz erobern, den schmucken Einband verbergen, das schlechte Gewissen zudecken, nur um aber ebenso liegenzubleiben und in Vergessenheit zu geraten, wenn das nächste Buch dazukommt.

Und so geht das immer weiter. Bis der Stapel all der Bücher, die einer lesen sollte, weil es immer einen Grund gibt, sie zu lesen, irgendwann aus jenem Schlafzimmer verbannt wird, weil Pendenzen für einen ungestörten Schlaf nicht förderlich sind. Im grossen Wandregal machen sich all die schönen Bücher, Seite an Seite, eh viel besser.

So kommt auch mein Buch dahin, wo es hingehört, und findet seinen Platz in diesen Reihen.

Irgendwann ist es dann so weit.

Irgendwann ist es dann vergessen.


 

Stef Stauffer
ist Schriftstellerin und Journalistin. Zuletzt erschienen: «Marthas Gäste» (Zytglogge, 2017). Sie lebt im Onsernonetal und in Zürich.

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