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Michel Houellebecq: «Gestalt des letzten Ufers»

Michel Houellebecq:
«Gestalt des letzten Ufers»

 

«Und das Auge sieht in allem nur Dunkles» – mit diesen Worten des ersten Gedichts aus dem Band «Gestalt des letzten Ufers» leitet sich eine Kosmologie der Finsternis ein: Drei Jahre nachdem Frankreichs Enfant terrible und bekennendem Misanthropen Michel Houellebecq für seinen Roman «Karte und Gebiet» der Prix Goncourt verliehen wurde, zeugt dessen neuste Lyrik von Depression und Aporie. «Verschwunden der Glaube, / der zu erbauen erlaubt […] Wir bewohnen die Leere.» Sowohl in seinen frühen Gedichten in «Suche nach Glück» (1992) als auch seinen letzten Romanen zog er stets radikal gegen Ideologien und Glücksversprechen der westlichen Konsumgesellschaft zu Felde. Von echter Kampfeslust und totaler Provokation ist hier, zwischen seinen neusten Zeilen, indes nur noch wenig zu spüren.

Im Gegenteil: Houellebecq zeigt sich von seiner fragilen Seite. Melancholie, Trauer und Verachtung – präzise und reduziert dargereicht, hinzu noch eine Prise Arthur Schopenhauer: «Es gibt nicht mehr als Leid.» Wie an einem fernen Ort, einsam und unbehaust, vernimmt der Leser das Echo aus dem Orkus. Ein Weltschmerz, der berührt: «Gern würde ich irgendetwas tun, das mich […] aus diesem Loch befreit, in dem ich ersticke.» Houellebecqs Nihilismus wissen, wie er immer wieder andeutet, weder Sex und Frauen – beidem verfallen immerhin die Protagonisten seiner letzten Bücher allzu gern – noch Tabletten oder religiöse Heilsprophetie zu kurieren.

Solcherlei Jeremiaden über Verschleiss, Fremde und Überdruss konzertieren ein Orchester, in dem die Klagerufe einer Elfriede Jelinek und die Hassgesänge eines Thomas Bernhard auf die prominenten Zerfallstexturen Charles Baudelaires treffen. Sie treffen mit grösster Wucht, weil sich das Innere eines Autors, der längst alle Distanz zu seinem lyrischen Ich aufgegeben hat, bedingungslos öffnet.

Während das Hier und Heute ihm einem Höllendasein gleicht, lässt immerhin die Vergangenheit noch manch erfüllte Stunde aufschimmern. In fünf Kapiteln und zumeist strenger Strophenform ist nichts verloren. Vor allem von vergangenen Lieben erzählen seine lakonischen Erinnerungsfragmente. Und immer wieder taucht das belebende Gegenüber auf, dem der Homme de lettres seine Hommage widmet: «Du hast mir das ganze Leben geschenkt / Und seine Wunder.» Wenn der 1958 auf La Réunion geborene Houellebecq den stillen Ton anschlägt, kommt der Romantiker zum Vorschein. Wunderschön klingen seine nostalgischen Besinnungen wie «Ich war von philosophischem Hunger erfüllt / Inmitten der Gräser / Des Gartens meiner pathetischen Nachmittage; / Der Himmel war grandios».

Aber: lang ist’s her. Dass die Zeit vorüberzieht, Alter und Tod näherrücken, veranschaulicht der Starschriftsteller im leicht abgegriffenen Bild des Zugreisenden, der alle möglichen Haltestellen buchstäblich verpasst: «Jetzt ziehen die Stationen vorbei, / Ich denke übers Umsteigen nach; / Das Leben ist da.»

Wenige Seiten später ist Houellebecq dann das madige Versinken im Wohlstandssaft und die «Dekadenz» des 21. Jahrhunderts gerade noch gut genug, um an ihnen den Zerfall – als Signatur unserer Zeit – zu diagnostizieren. Alles Leben strebt hier «nekrologisch» dem Tode zu. Trauer, Trübe und Tristesse – nur wer die Gedichte etwas genauer liest, mag hier und da auch noch ein Sternenleuchten am dunklen Firmament entdecken. Es speist sich aus der Vergangenheit. Für Houellebecq sind – neben der erinnerten Jugend – Kunst und Liebe die einzigen Refugien, die vor dem Grauen bewahren. «Es gibt, inmitten der Zeit, / Die Möglichkeit einer Insel», nämlich immer noch – und zwar eben dort, wo die Erinnerungen an glückliche Tage der Zweisamkeit Raum greifen. Die Kraft seiner Poesie vermag diese intensiven Momente der Vereinigung zu bewahren. Vielleicht ist sie das «andere Leben, das die Welt durchzieht».

Michel Houellebecq: Gestalt des letzten Ufers. Köln: DuMont, 2014.

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