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Liar by the Fire

Über gute und schlechte Songtexte.

Liar by the Fire

 

Herr Mezger, sind «gute Texte» ein Argument, Musik zu kaufen? 

Sagen wir es so: Schlechte Texte waren noch nie ein Argument, Musik nicht zu kaufen. Hingegen bringt mich auch das Nobelpreiskomitee nicht dazu, mir Mundharmonikasoli anzutun.

Was ist das überhaupt, ein guter Songtext?

Erst die zweite Frage und schon wird es knifflig… Was ist eigentlich ein Songtext im Gegensatz zu einem anderen Text? Ein vertontes Gedicht? Jein. Die Mündlichkeit ist entscheidend. Und zu all den üblichen Textbewertungskriterien kommt eben noch hinzu: Wie fügt sich das ins Songganze? Muss ich dem ganzen Text zuhören oder bekomme ich auch in Fragmenten was? Ausserdem sind Songtexte auf Wiederholung angelegt, ich muss mich immer und immer wieder an ihnen erfreuen können. Aber, man wird es wohl noch öfters raushören: Ich habe ein recht ambivalentes Verhältnis zu Songtexten: Sie spielen sich in der Musikrezeption viel zu oft nach vorne.

Wie meinen Sie das?

Es ist nicht besonders leicht, über Musik zu schreiben. Also schreibt man in Plattenrezensionen hauptsächlich über die Texte. So im Stile von «Auf dem neuen Album von XY geht es um…»

Trotzdem: Wessen Songtexte bewundern Sie?

Ich mag vieles und aus vielen Gründen. Bei den Deutschsprachigen fällt mir als erstes Bernd Begemann ein; er beschreibt die Jetztzeit teils lustig, teils verspielt, aber er mogelt sich nie mit Klischees durch. Die Hamburger Schule sollte ihm mal einen Gedenkstein pflanzen. Ähnlich auf dem Punkt waren die frühen Element of Crime, dann natürlich Kuno Laueners atmosphärische Alltagsbeschreibungen. Und auf Englisch mag ich wie bei The National überlange Zeilen, die sehr nach Prosa riechen, so gesungen werden, als wären sie klassische Song-Slogans, und als solche im Ohr hängenbleiben. Auch bemerkenswert: Wie Eminem mit Binnenreimen und Flow umgeht, aber ein Eminem-Songbuch würde ich eher nicht kaufen. Die Mündlichkeit bleibt entscheidend.

Der Eminem-Text ist also nur gut, wenn und weil Eminem ihn performt, und zwar so, wie er das tut und mit den Beats usw., die er verwendet? Und wenn Kuno nicht so rauchig-sexy-cool klänge, wären auch seine Geschichten nur noch halb so interessant? 

Ich merke, dass ich hier – mit Ausnahme von The National – eher Beispiele gewählt habe, wo mich die Musik selbst nicht immer umhaut. Wo ich Text und Musik trennen kann. Kunos Texte sind auch gut ohne seine Stimme. Ich glaube, was ich immer wieder toll finde: wenn Songtexte treffende Miniaturen sind. Aber eben, Songtexte sind nicht Lyrik, sie müssen nicht auf dem Papier funktionieren, sondern im Gestischen. Das heisst aber auch: Viele Texte, die ich sehr mag, mag ich auch wegen der Musik; gerade das Pathos, das in Songs seinen Platz hat, empfände ich auf Papier wohl teils als unangenehm. Wenn Scout Niblett sich in «Just do it» Selbstmotivation zuraunt, ist das gross, es ist performativ. Oder ein ganz anderes Beispiel: Gerade habe ich zufälligerweise eine Neuauflage von «Verstärker» von Blumfeld gehört. Der Song besteht im Original eigentlich nur aus Gitarrengewitter und einem brillanten Text – toll. Neuerdings hat sich die Band aber dem Schlager zugewandt, in der aktuellen Interpretation ist die Musik hochkonventionell. In diesem Umfeld wirkt der Text auf einmal unnötig kapriziös.

Oasis singen ungestraft «I can see a liar / sitting by the fire», Radiohead «Yesterday I woke up sucking a lemon». Beide gehören zu den grössten Bands unserer Generation. Manchmal sind Songtexte auch herzlich egal, oder?

Also, darf ich das hier sagen?: Mir persönlich sind ja auch Oasis herzlich egal… – Aber ja, Songtexte sind nicht immer wichtig. Manchmal ist es sogar wichtig, dass sie unwichtig sind. Wobei: Die Sitting-by-the-Fire-Zeile ist ja wirklich so richtig schlecht, kurz vor «I fly high in the sky». Die Sache mit der Zitrone von Radiohead bleibt kryptisch, etwas dadaistisch, aber hat darin ja durchaus ihre Qualität. Es lässt sich etwas hineininterpretieren, was für den Text spricht.

Fairerweise muss man sagen: «I can see a liar» ist dann zu Recht auch nicht der grösste Oasis-Hit aller Zeiten geworden. Aber genug der Gallaghers – was meinen Sie mit «Manchmal ist es sogar wichtig, dass Songtexte unwichtig sind» genau?

Der Text ist wie ein anderes Instrument, er muss sich zwischenzeitlich auch zurücknehmen, um im Song zu funktionieren. Songs, die eine Geschichte erzählen, funktionieren daher für mich selten richtig gut.

Also «Hauptsache, es prätscht» oder die Suche nach «geilen Sounds» darf auch mal Priorität geniessen, was dazu gesungen wird, auch mal vernachlässigt werden?

So wird es wohl öfters gehandhabt. Aber persönlich finde ich: Lyrics sollen bitte auch dann gut sein, wenn sie nicht zentral sind…

Welchen Anspruch haben Sie selbst an Ihre Texte für «A Band and a Whimper»? So als Schriftsteller, das kann ich mir als recht anstrengend vorstellen.

Bei diesem Projekt steht klar die Arbeit an der Musik im Vordergrund. Es ist uns wichtig, dass sich der Text nicht vor die Musik schiebt. Auch ein Grund, warum wir klassisch beim Englischen bleiben. Aber a liar by the fire, nein, das würde ich mir dennoch nicht durchgehen lassen… In den Texten suche ich eine gewisse Direktheit. Songtexte funktionieren ganz anders als das, was ich sonst schreibe, und mein Notizbuch ist nicht voll von Ma­terial, das ich mal verwursten will, die Texte entstehen also in einem sehr langsamen Prozess und immer erst ganz zum Schluss (oder noch später, ich musste live auch schon mal Gibberisch singen, weil der Text noch nicht so weit war…).

Langsamer Prozess, ganz zum Schluss: Fallen Ihnen Songtexte schwer? 

Ja, Songtexte fallen mir je länger, desto schwerer, aber das liegt vielleicht daran, dass ich schon länger schreibe und Schreiben eh je länger, desto schwerer fällt. Zum anderen feilen wir so lange an allem, stellen um, modifizieren, dass es sich vor dem Schluss gar nicht lohnt, den Text zu schreiben. Bis da ist alles Formale definiert: Was der Text soll, wo es einen Ausbruch braucht, wie viele Silben ich verwenden darf, teils habe ich mich auf schöne Lautfolgen eingeschossen. So, und das jetzt bitte noch in einer sinnvollen Aneinanderreihung von Wörtern und Gedanken, bitte! Das ist dann oft ein ziemliches Geknobel. Aber ebenjene Miniatur zu finden oder dieses eine inhaltlich und lautlich passende Bild, ist dann schon schön.

Sie schreiben oft fürs Theater – auch das Texte, die dafür geschrieben sind, mündlich aufgeführt zu werden – gehört, nicht gelesen. Aber es gibt auch einen offensichtlichen Unterschied: Beim Theater hat man nur Sprache und Stimme zur Verfügung, in der Musik kommen die Instrumente dazu. 

Das Tolle bei Theatertexten ist ja, dass sie zwar nur aus Gesprochenem bestehen, aber dass sie als Hauptsprache den Subtext verwenden. Also: Die eigentlich zu schreibenden Wörter sind nur die Oberfläche, sie verweisen auf etwas darunter, der Text kann also verspielt daherkommen, abgehackt, Figuren können sich in einen Strudel reden, falsche Formulierungen verwenden oder gar nichts sagen. Auf die Bühne kommt dann das, was da­runter liegt. Bei Songs gibt es eigentlich nur eine Rolle, die spricht, und die heisst «ich». Und zweitens bestehen Songtexte in ihrer Grundstruktur eher aus Slogans. Knackige Einzeiler, die man wiederholen kann. Das muss man natürlich nicht akzeptieren, aber damit muss man erst mal umgehen. Eben mit dieser Direktheit in der Aussage. Mit der grossen Geste. Das ist das Material. Von da aus kann ich mich natürlich auch in die Story wegducken oder kryptisch werden wie Radiohead im obigen Beispiel. Oder eben, man kann hinstehen und auch mal was sagen.

Sie meinen: etwas Politisches?

Nein, das muss nicht politisch sein. Das hat mit dem Ich zu tun, das präsent ist. Ich stehe hinter dem Mikrofon und auch wenn ich für einen Song in eine Rolle schlüpfe, sage ich als ich etwas, nicht bloss so Kram wie «Fuck the police», sondern vielleicht «You are so beautiful». Das steht dann erst mal da. Das hat ein gewisses Pathos. Wenn man das aushält und wenn es im Song Platz hat, kann das sehr schön sein.

 «Erfolgreiche» Songtexte sind doch meist auch dadurch für viele anschlussfähig, dass sie uneindeutig sind, bedeutungs­offen, wenn man so will. Einverstanden?

Nein, das glaube ich nicht. Erfolgreich textet man wohl einfach, wenn man anschlussfähigere Themen setzt. Im Pop: «You’re so sexy!» Allzu kryptisch ist das nicht. Oder Gölä durfte ungestraft und konkret das hässliche Entlein zitieren, das war offenbar recht anschlussfähig damals… Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, warum Songtexte nicht nur einfach fallen: Die Klischees sind allüberall, die Worthülsen nah, Sprachkitsch ebenso. Hier, ohne bemüht originell zu werden, eigene Wege zu finden, ehrlich und präzise aus der eigenen Lebensrealität zu erzählen oder in gesetzten Themen abseits der Floskeln auf den Punkt zu kommen, das ist nicht der kleinste Anspruch. Aber natürlich den, den ich an mein Texten stelle.

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Stefan Bachmann, fotografiert von Maurice Haas / Diogenes Verlag.
Charlotte Brontë und das Nichts

Sein Debüt wurde in den USA ein Riesenerfolg, da war er gerade 20 Jahre alt. Weniger bekannt ist: Fantasy-Autor Stefan Bachmann ist auch ausgebildeter Musiker. Aber wie kommt jemand überhaupt auf die Idee, zu schreiben oder Musik zu machen?

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