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Zauberwort

Zauberwort
Nora Gomringer, photographiert von Judith Kinitz.


Der unendliche Winter hat mich viel Kraft gekostet. Ich habe im Ganzen mehr als einen Monat (zerteilt in einmal 3 Wochen und einmal 2 Wochen) im Bett verbracht, einmal mit einer Grippe, dann mit einer ordentlichen Angina. Kaum mehr mit meinem Mann, weil die Ansteckungsgefahr bei all diesen Tröpfchen und veritablen Tropfen natürlich unhaltbar ist, ausserdem atmet man viel zu laut, seufzt in schweren Träumen und hat einen seltsamen Tages- und Nachtrhythmus, der keinem berufstätigen Partner zuzumuten ist.

Das Grässliche: man kann den Krankenstand nur selten für Nützliches verwenden. Ich kann während solcher Nullphasen kaum lesen, weil der Kopf wie ein Turban ist (nur dass alles an ihm Tuch und nichts mehr Hirn oder Gesicht ist) und die Müdigkeit einen ständig einholt, wenn man dann doch zwei Seiten bezwungen hat. Bei der Lektüre des «Golems» von Gustav Meyrink ist dieser seltsam somnambule Zustand hilfreich. Er bereichert die Lektüre. Man stapft genauso lahm und lehmig durch die Räume wie der Golem durch die Strassen des Prager Ghettos. Spannend und schwer und mit einer Vielzahl verstörender Bilder übersetzt Meyrink seine Albträume in eine Geschichte, deren Wurzeln so alt sind wie der Talmud. Der Golem reagiert auf ein Wort, das man ihm auf die Stirn schreiben muss, damit er für die Dauer eines Auftrags beseelt wird mit Pflichtgefühl und radikalem Drang. Je nachdem, welcher Version man nachhängen möchte, so setzt ihn entweder Wahrheit (hebr. emet) oder Shem (einer der Namen Gottes) in Bewegung. Nicht die schlechtesten Beweg-Gründe… Wahrheit oder Gott.

Also mit meiner Wahrheit ist es in meinen Krankheitstagen nicht weit her. Ich bin einfach krank und laufe unter dem Radar, wo ich mich auch selbst orte. Unter dem Radar begegne ich all den Figuren aus der Literatur, die neben den Protagonisten agieren, also eher der rauchenden Raupe als Alice im Wunderland und eher Toto, dem Hund, als Dorothy, dem Mädchen in Kansas, hinter dem Regenbogen. Zur Lektüre von Frank L. Baums «Wizard of Oz» rate ich übrigens alle drei Jahre einmal. Den Film kann man sich ja alle Jahre wieder im Fernsehen ansehen, aber den Originaltext, den muss man dann doch hin und wieder lesen. In den letzten Jahren gelingt einem ja die Lektüre auch in Hinsicht auf ökologische Fragen. Tornados sind ja keine Stürme mehr, sondern Symptome.

Diese Überlegung führt mich zu dem Text, dessen Verfilmung mich gerade gar nicht so abgeschreckt hat wie meine Freunde: «The Lorax», ein Kinderbuch mit erhobenem Biologie- und Nachhaltigkeitsfinger und dazu ein Vergnügen, beides von Dr. Seuss. Ein etwa kniehoher Hüter des Waldes und seiner Kreaturen wäscht einem radikalen Glückssucher den Kopf. Alle Wäsche jedoch nützt nichts, wenn einer meint, ein Recht auf sein Glück zu haben, und so muss der Wald weichen, alle Kreaturen darin und letztlich auch sein Hüter, bis…, und das ist das Schöne, …wieder nur ein Wort zurückbleibt. Ein Rätsel für den «Once-ler», den Glückssucher: «Unless» – «wenn nicht» oder «es sei denn». Ein wunderbares, bedingendes Wort, meisterhaft für eine Erzählung: Wenn nicht diese Erkältungen, dann vielleicht keine Ein-Wort-Mythen-Begeisterung. Dabei hebt die Welt doch an zu singen, trifft man nur das …ach, Sie wissen schon.

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