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Lukas Hartmann: «Abschied von Sansibar»

Lukas Hartmann:
«Abschied von Sansibar»

 

«Eine Prinzessin von Sansibar, die mit einem Hamburger Kaufmann durchbrennt. […] die Saga einer westöstlichen Familie […] nach einer wahren Geschichte» – mein Gott, Diogenes! Als meine Disney-erprobten Augen die Rückseite des neusten «Hartmanns» studierten, schepperten weiter hinten, im Kopf, schon die Alarmglocken. Prinzessin! Aus Sansibar! Brennt durch! Aus Liebe! Wie romantisch!

Nun, ich habe das Buch dann doch noch gelesen. Und war erleichtert: kein Kitsch in «Abschied von Sansibar». Und die romantisch anmutende Ausgangslage der Geschichte weist für Salme aus Sansibar, spätere Emily Ruete und nie Cinderella, auch zu keinem Zeitpunkt auf ein Happy End hin. Stattdessen: Verluste. Ständige Verluste. Heinrich Ruete, der «Hamburger Kaufmann» und Emilys guter Grund, ihre Familie, ihr Land, ja ihre Kultur zu verlassen, stirbt schon 1870, nur wenige Jahre nachdem sich die junge Familie in Deutschland niedergelassen hat. Die neue Umgebung wird nie wirklich zu ihrer Heimat, und der Weg zurück ist ihr versperrt. Auf ihr Leben zurückblickend, lautet ihr eigenes Urteil über sich: «Ich verliess meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche.»

Schwerer Stoff. Tod und Verlust, Schmerz und Trauer, die grösser werdende emotionale Entfremdung zwischen Emilys Familienmitgliedern, und das alles vor dem Hintergrund zweier Weltkriege – nein, leicht ist anders. Aber mit mutigen inhaltlichen Sprüngen und Wechseln zwischen Zeiten und Perspektiven bricht Lukas Hartmann die Schwere des Themas immer wieder auf – und genau diese Abwechslung ist während des Lesens sehr willkommen, gewährt sie doch jeder der Figuren genügend Raum, um an Tiefe zu gewinnen und einen bleibenden, wenn auch nicht selten mit bitterem Nachgeschmack versehenen Eindruck zu hinterlassen. Die Reflexionen und mitunter nostalgischen Erinnerungen von Emilys Kindern entpuppen sich mit der Zeit als eine grossangelegte Sinnsuche; gross genug, um den Leser (oder zumindest die Rezensentin) in ihren Bann zu ziehen. Dazu tragen auch die Ausschnitte aus den sehnsüchtigen – echten – Briefen Emilys bei. Geschickt vermischt Hartmann biographische Fakten mit seiner eigenen Interpretation der Innenleben der um die Geschichte Emilys oszillierenden Familienmitglieder. Er zeichnet ein überzeugendes,  tiefenscharfes Bild einer Familiengeschichte voller Melancholie, Sehnsucht, geplatzter Träume und unbeantworteter Fragen. Ein klebriges Zuckerschlecken ist das nicht – sondern ein literarischer Genuss.

Lukas Hartmann: Abschied von Sansibar. Zürich: Diogenes, 2013.

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