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Artista, mi dispiace

Er hat die Moderne gehasst und war einer ihrer Pioniere. Das Streben nach Geld war ihm zuwider, doch ging es in seinem Leben um nichts anderes. Seine Familie liebte er, aber er verstiess sie. Und jetzt hat jemand einen Roman über ihn geschrieben, der keiner ist. Die Rede ist von Roberto Donetta, einem der faszinierendsten Schweizer Fotografen, den bis in die achtziger Jahre niemand kannte. Durch Zufall wurden Tausende seiner Glasplatten gefunden. Belichtet und gewürdigt hängen sie heute in Museen und Galerien.

Donettas Geschichte beginnt und endet im entlegenen Bleniotal. Zu einer Zeit, als das Tessin nicht die Sonnenstube der Schweiz ist, sondern ihr Armenhaus. Die Kinder sterben an Mangelernährung und die Bergregionen erfasst eine Aussichtslosigkeit, die Männer zu Wirtschaftsflüchtlingen macht. Auch Roberto Donetta verdingte sich als Marronibrater in Italien, bediente englische Herrschaften im verhassten London. Während sich daheim die Frauen fast zu Tode krampften. Nicht gerade das Umfeld, in dem man sich einer neuartigen Kunst verschreibt. Doch Donetta tat genau dies. Er glaubte an die Magie, an das Licht, an das Vermächtnis eines befreundeten Bildhauers, der ihm eine Fotokamera überlässt, bevor er selbst auswandert. Als akribischer Autodidakt entzaubert Donetta das Handwerk und führt es zur Perfektion und später über die technischen Möglichkeiten hinaus. Dabei entfremdet er sich zusehends. Die Talbewohner, denen er ein Denkmal setzt, verachten ihn. Ein Vagabund sei er, der sich weigere, durch ehrliche Arbeit seine Familie zu ernähren. Dabei ist Donetta stolz, mit Samenhandel und Fotoporträts etwas Polenta auf den Tisch zu bringen, eine Handvoll Kastanien und manchmal ein Stück Käse. Mehr haben die anderen auch nicht. Noch sieht niemand, wie in seinen Aufnahmen das staunenswerte Abbild einer sich wandelnden Zeit entsteht. Wie seine fotografischen Experimente eine Modernität entwickeln, von der er in seiner Abgeschiedenheit nichts ahnt. Obschon diese neuen Zeiten in Biasca Station machen. Per Eisenbahn kommen seine Fotochemikalien, per Eisenbahn verlassen ihn Frau und Kinder. Der Schriftsteller Beat Hüppin erzählt nun – Jahre nach der Anerkennung des fotografischen Werks – eine Lebensgeschichte, die voller Not, Widersprüchlichkeit, aber auch Unbeirrbarkeit ist. Dafür hat er den immensen Schriftverkehr Donettas durchgearbeitet, dessen Journale, den steten Kampf mit den Gerichtsvollziehern. Doch seine Recherche verarbeitet er nicht zu einem fulminanten Roman mit ausgearbeiteten Figuren, literarischen Motiven und Handlungssträngen. Ein solches Zeitgemälde findet sich unerreicht in Plinio Martinis «Il fondo del sacco». Die Qualität dieser Biographie liegt in der dramaturgischen Zurückhaltung. Hüppin bleibt bei der getreuen Nacherzählung, lässt das Unbekannte im Dunkeln, füllt die weissen Flecken nicht und erzeugt dadurch einen ähnlichen Sog wie manche der besten Fotografien Donettas. Was verbirgt sich hinter der rätselhaften Unheimlichkeit? Wie dem Bild seines Sohnes, dem er eine tote Schlange auf den Bauch legt. Wie sind die Porträts zu lesen, die von riesenhaften Pflanzen verschluckt scheinen? Was hat es mit dem weiss gekleideten Baby auf sich, das von einer schwarz verhüllten Figur gehalten wird? Donettas Kunst entstand oft in Momenten, in denen er ins Bild eingriff, spontanen Eingebungen nachging. Ihnen ist er so hartnäckig gefolgt wie seiner Überzeugung, mit Fotografie ein Auskommen zu finden, es doch noch allen zeigen zu können. Heute sind es nicht zuletzt diese phantastischen, surrealen Aufnahmen, die ihn weit über sein Tal und seine Zeit hinausheben und die Lektüre von «Maler des Lichts» mit Spannung füllen. Das Geheimnis seiner Bilder bleibt unbelichtet, doch die Konturen ihrer Faszination sind geschärft.

Buch: Beat Hüppin: Donetta, der Lichtmaler. Basel: Zytglogge, 2018.

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