Brief aus dem Tessin (dieci)
In einem kurzen, aber dichten Vorwort zu Alberto Nessis neuem Gedichtband «Un sabato senza dolore» (Interlinea, 2016) schreibt Fabio Pusterla: «2016 ist für Alberto Nessi und seine Leser ein glückliches Jahr. Nachdem Nessi vor wenigen Monaten mit dem höchsten Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet worden ist, dem Grand Prix Literatur, findet er nun mit einer neuen Gedichtsammlung […]
In einem kurzen, aber dichten Vorwort zu Alberto Nessis neuem Gedichtband «Un sabato senza dolore» (Interlinea, 2016) schreibt Fabio Pusterla: «2016 ist für Alberto Nessi und seine Leser ein glückliches Jahr. Nachdem Nessi vor wenigen Monaten mit dem höchsten Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet worden ist, dem Grand Prix Literatur, findet er nun mit einer neuen Gedichtsammlung – der sechsten seiner breitgefächerten Laufbahn – endlich auch den Weg nach Italien.»
In der Tat liegen inzwischen sechs Gedichtsammlungen vor. Wenn man das neue Buch von Alberto Nessi liest, betritt man gleichsam eine Art geweihten Raum und spaziert barfüssig über kühle Felsen. Subtile Wehmut, Sehnsucht, Entzücken über eine mit chirurgischer Präzision sezierte Wirklichkeit durchdringen Nessis Gedichte. Männer, Frauen, Besiegte, Ausgegrenzte, Freunde, Verwandte und dazu Wälder, Blumen, die kleinen Lebewesen des Kosmos. Seit je ist Nessi achtsam und zuvorkommend gegenüber den «kleinen Dingen», er pflegt einen Anstand früherer Generationen, den man ihm abschauen müsste: «Im Schatten einer Linde / sitzt ein Mädchen / die Augen vor Staunen / ein wenig blau, ein wenig grün» (Biel, Coin-des-Tilleuls, 6. September).
Etwas verspätet möchte ich auch auf den einfühlsamen Roman «Ritorno dal bosco» (Tipografia Helvetica, 2016) von Mattia Cavadini hinweisen. Das Buch ist als eine Art Doppeltagebuch angelegt: auf der einen Seite ein Vater, der sich von Zivilisation und Fortschritt abwenden möchte und sich für ein einsames Leben in den Bergen entscheidet, auf der anderen Seite ein Sohn, der Architekt werden möchte und sich nach der Stadt sehnt. Ein dichtes, poetisches, zugleich aber polemisches, bissiges Buch, das auch die kontroverse wirtschaftliche Situation des Tessins in den vergangenen Jahrzehnten thematisiert.
Andrea Bianchetti
ist Dichter und arbeitet als Kritiker für RSI (Rete due). Er ist auch -Redaktor der Literaturzeitschrift «Cenobio» und lehrt Italienische -Literatur an verschiedenen Tessiner Gymnasien. Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Sauser.