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Camus grüsst Grimmelshausen

Der Zürcher Autor Catalin Dorian Florescu

Camus grüsst Grimmelshausen

Über die Zustände im Rumänien der Ceausescu-Jahre sind in letzter Zeit immer mehr Details bekannt geworden, und meist keine erfreulichen. Man darf unbesehen sagen: Wer 1967 in Temeswar oder vielmehr Timisoara geboren wurde und dort aufwuchs, hat es, nimmt man einen Gleichaltrigen aus Zürich zum Vergleich, nicht ganz einfach gehabt. Die Gegenwart aber ist im Fall von Catalin Dorian Florescu gar nicht so übel. Der ausgebildete Psychologe und Suchttherapeut ist ein weithin anerkannter, mehrfach ausgezeichneter Schweizer Schriftsteller geworden, und sein jüngstes Buch hat Elke Heidenreich in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» in höchsten Tönen gelobt – «Jacob beschliesst zu lieben» sei Florescus bisher bester Roman, der seinen Autor «in die erste Reihe deutschsprachiger Schriftsteller katapultiert». Und andere nicht unbekannte Literaturkritiker sahen das nicht anders. Wer ist dieser selten ohne seine Mütze auftretende Schriftsteller?

Auf seiner Homepage erfährt man manches, nicht aber das Wichtigste: den Zauber seiner Prosa. «Ich bin helvetischer, deutschsprachiger, europäischer Schriftsteller in einem», hat Florescu vor einigen Jahren klargestellt. «Ich bin deutsche Literatur ohne Wenn und Aber.» Das war gegen Zeitgenossen gerichtet, die deutschsprachige Literatur
von Autoren anderer Muttersprachen nicht für ganz voll nahmen. Inzwischen hat sich das geändert. «Ich bringe sehr vieles zusammen, was rumänisch ist, was balkanisch ist, was mediterran ist […], und verbinde das mit der Kraft des Deutschen.» Das stimmt seit seinem stark autobiographisch gefärbten Roman «Wunderzeit» (2001). Wie dieser stellt auch «Der kurze Weg nach Hause» (2002) eine Reise ins Zentrum dar, und noch eindringlicher als im Erstling entfaltet Florescu sein herausragendes literarisches Talent – Figuren mit solcher Sprachgenauigkeit, Opulenz und Farbigkeit zeichnen, das können nicht viele. Wer «Der blinde Masseur» (2006) gelesen hat, wird weder den Erzähler Teodor noch den Masseur Ion noch die unglaubliche Geschichte vom Weltliteratur-Sammeln in einem verfallenden rumänischen Kurort jemals vergessen. Mit «Zaira» (2008) weitet sich Florescus Schreiben über den konkreten Plot hinaus zu einer so noch nie vernommenen Chronik des 20. Jahrhunderts. Das ist Fabulierkunst vom Feinsten, aberwitzig, humorvoll und menschlich zugleich – auch wenn der Roman sicher ein wenig zu lang geraten ist. In «Jacob beschliesst zu lieben» (2011) hingegen ist keine Zeile überflüssig. Ein ungewöhnlicher Buchtitel: jemand «beschliesst» zu lieben? Wen oder was? Kann man Lieben überhaupt beschliessen? Ungewöhnlich ist das ganze Buch. Bis in die Zeit des Dreissigjährigen Krieges geht sie zurück, die Geschichte der aus Lothringen stammenden Banater Schwaben, und einer von ihnen ist Jacob Obertin aus dem Dorf Triebswetter bei Temeswar. Seine Geschichte wird erzählt, eine Geschichte, geprägt von Armut und Hunger, Verrat und Brutalität, vor allem aber von einer unerschütterlichen Liebe zum Leben, zum Land seiner Herkunft und zu seinen Mitmenschen. Ein Familien- und Sippenepos in sechs Grosskapiteln. Mehr noch: Die einzelnen Schicksale verschränken sich, wie Haarsträhnen zu einem Zopf, mit der blutigen Geschichte der Diktaturen, Deportationen und Umwälzungen des vergangenen Jahrhunderts. Das geschieht in üppigen Sprachbildern und oft filmisch anmutenden Szenen, kraftvoll angetrieben von einem Erzählfuror, der ein wahres Füllhorn an Figuren und Episoden über dem Leser ausschüttet. Und in all dem Unheil, mitten in der tiefsten Verzweiflung immer wieder: Jacobs Liebe zum Leben – und sei es noch so hart und armselig.

Da sage noch einer, die Schweizer Gegenwartsliteratur sei auch nicht mehr das, was sie einmal war. Ganz klar: Solange Catalin Dorian Florescu dem Schreiben treu bleibt, muss uns um ihre Zukunft nicht ernsthaft bange sein.

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