Endlich schreiben «dürfen»
Ich war schon über dreissig, als ich am Literaturinstitut anfing. Zuvor hatte ich das Lehrerseminar absolviert, mich als Leichtathlet versucht und war zudem früh Vater geworden. Mir war schnell klar: Unterrichten war okay, aber nicht meine Leidenschaft. Letzteres aber war, etwa seit dem 17. Lebensjahr, das Schreiben. Eine Familie ernähren zu müssen erhöhte allerdings mein Bedürfnis nach Sicherheit, und vor allem: Ich traute mich einfach nicht zu sagen: «Ja, ich möchte Schriftsteller werden.» Ich konnte nicht einschätzen, was meine literarischen Versuche taugten, und von «echten» Schriftstellern hatte ich eine fast götterhafte Vorstellung. Mich mit ihnen zu vergleichen, kam mir lächerlich vor. Also arbeitete ich als Lehrer, doch der Wunsch zu schreiben ging nicht weg, und nur für den Estrich wie bei Peter Bichsels Cherubin Hammer sollte es nicht sein.
Ich bin sehr froh, dass ich mich – auch dank der Grosszügigkeit von Freunden, die sich bereit erklärten, mich finanziell zu unterstützen – dann doch zu einer Bewerbung am Literaturinstitut durchrang. Die Zusage und umso mehr das Studium selbst kamen für mich, die Formulierung mag etwas übertrieben wirken, einer Erlösung gleich. Nun «durfte» ich «offiziell» literarisch schreiben: Es gab einen Rahmen, eine Struktur dafür, sogar mit Stundenzahlen, die man investieren sollte. Autoren, zu denen ich vor kurzem noch in Verehrung aufgeschaut hatte, erlebte ich nun als Dozenten und Mentoren und diskutierte mit ihnen auf Augenhöhe über meine Texte (und manchmal auch über ihre). Ich lernte viel, traute mich aber zunehmend auch, eigene Formulierungen zu verteidigen. Kurz: Ich entwickelte ein realistischeres Bild davon, was ich konnte und welche Perspektiven ich in der Literatur hatte: «Johannes Morgenthaler, Schriftsteller» – das klang immer noch fremd (und blieb, als Hauptberuf verstanden, unwahrscheinlich, ich unterrichte weiterhin), aber es wurde zu einer Möglichkeit, die ich mir ohne die Zeit in Biel als ernsthaftes Projekt nicht gestattet hätte.
Protokoll: Stephan Bader