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Entzauberung der literarischen Welt?
Sonja Lewandowski, zvg.

Entzauberung der literarischen Welt?

Literaturinstitute sind heute die zentralen Produktionsstätten von Gegenwartsliteratur – sowohl Symptom als auch Ursache für einen zunehmend professionalisierten Betrieb. Was für Autoren bilden sie aus, was für Karrieren begünstigt das neu gewachsene Ökosystem?

Wer an einer akademischen Schreibschule studiert hat, weiss um das feuilletonistische Schnauben, das hin und wieder durch das literaturbetriebliche Treppenhaus stösst, um dem Missfallen über literarische Ausbildungsstätten Luft zu machen. Was soll das sein, eine Schreibschule? Eine Tanzschule für die Feder, eine Tauchschule für die Imagination? Bezeichnend für die überwiegend abschätzige Diskussion ist das Festhal­ten an der reduzierten Bildungsbezeichnung selbst – Schreibschule –, die weder auf den tatsächlichen Gegenstand, Literatur, noch auf den eigentlichen Bildungsort, die Hochschule, verweist – Schreiben lernen, minus «Hoch» und minus «Literatur», so suggeriert es der Sammelbegriff.

Das Literaturinstituts-Bashing kulminiert

in dem Vorwurf der ‹Institutsprosa›.

Während angehende Regisseurinnen oder Musiker unbehelligt ihre Seminare an Kunsthochschulen und Akademien besuchen, sitzen die schreibenden Eleven nebenan und müssen sich gegen den Vorbehalt wehren, dass literarisches Schreiben überhaupt nicht lern- und lehrbar sei, und die Funktionstüchtigkeit der Institute mit ihrem Debüt erst einmal beweisen. Denn das Gelingen eines künstlerischen Studiengangs misst man an den Leistungen und der erlangten Aufmerksamkeit der Absolventinnen, und so werden die Schreibstudiengänge gerne an den literarischen Debüts gepackt: Am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig herrsche ein «Leipzig-Sound» vor, am Schweizerischen Literaturinstitut mangle es an literarischen Experimenten, die Studierenden litten durch ihr junges Alter und die Einhegung in die hochschulischen Strukturen an Erfahrungsarmut und betrieben unpolitische Nabelschau. Und da die wenigsten von uns je ein solches Institut betreten und die Seminare dort besucht haben, stellt man sich nun – vielleicht auch ein wenig schadenfroh, weil neidisch auf den Mut der Studierenden, ihren Schreibwunsch zum Beruf machen zu wollen – anämische Autoren vor, die durch ihr Institut schlurfen und literarisches Malen nach Zahlen betreiben.

Das Literaturinstituts-Bashing kulminiert in dem Vorwurf der «Institutsprosa» und zielt vor allem auf die fehlende literarische Vielfalt; die in Hildesheim, Leipzig, Wien oder Biel produzierte Literatur habe durch das angeleitete Schreiben eine stilistische und thematische Angepasstheit zur Folge. Die künstlerische Homogenität resultiere, so der Hildesheimer Absolvent Florian Kessler, vor allem aus einer habituellen Einförmigkeit. Er stellt fest, dass die in den Instituten heranwachsende Schriftstellerkohorte lediglich im eigenen bildungsbürgerlichen Saft schmore und dem «Heintje-Effekt» anheimfalle, sprich «[i]mmer jüngere Autoren verhalten sich immer braver immer älter». Damit komplettierte Kessler das Bild der Hochschule als Kastrationsstätte des künstlerischen Stachels.

Dass sein so häufig zitierter «Zeit»-Artikel «Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!» aus der Feder eines ehemaligen Schreibschuleleven stammt, verdeutlicht das ambivalente Verhältnis zur eigenen Autorenausbildung. Wenn diese vor allem Spielwiese für ein von Haus aus studiertes Selbstverwir­k­lichungsmilieu ist, raubt das dem literarischen Schreiben jede existenzielle Dringlichkeit und Verwegenheit. Dahinter wabert die Angst vor der Banalisierung des künstlerischen Prozesses durch dessen Verschulung. So individuell und antiinstitutionell sich eine Kunsthochschule auch gibt, die curriculare Ausbildungsstruktur verwandelt das literarische Schreiben durch den methodisch-verallgemeinerbaren Zugang dennoch vom künstlerischen zum künstlichen, vom magischen zum technischen Akt. Da, wo die kreative Leistung zum new normal wird (und wo ist das in Zeiten des omnipräsenten Kreativitätsimperativs nicht der Fall?), wird der akribisch gepflegte Künstlermythos des aus sich selbst schöpfenden Genies entzaubert, indem Kunst als vorhersehbar, weil erlernbar und damit wiederholbar gilt. Wenn sich dann eine angehende Autorin für die Ausbildung an einem Literaturinstitut entscheidet, wird die Kunst plötzlich zum Handwerk, das Werk zum Projekt und die Berufung zum Beruf. Wer könnte diese Entzauberung der literarischen Welt schon ohne Enttäuschung ertragen?

Produktionsstätten der Gegenwartsliteratur

Befreit man den Schreibschuldiskurs aus den gut ausgeprägten genieästhetischen Kiefern der älteren Semester, kann man wertfrei feststellen: Literaturinstitute bilden mittlerweile einen festen Bestandteil des Literaturbetriebs und es ist zu vermuten, dass ihr Einfluss durch eine wachsende Anzahl an In­stituten (hier kommen auch kulturpolitische Motivationen einzelner Regionen ins Spiel) und Studierenden weiter steigen wird. Jährlich wechseln hunderte ambitionierte junge Menschen vom Heimschreiben in die semiöffentliche Situation der Schreibschule, um Bachelor und/oder Master im literarischen Schreiben zu werden. Das Schweizerische Literaturinstitut in Biel feierte 2017 mit über 100 Alumni sein 10jähriges Bestehen, das Literaturinstitut in Hildesheim begeht dieses Jahr sein 20-Jahr-Jubiläum, und schon 1995 öffnete das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig seine Tore, nachdem dort zwei Jahre zuvor das Johannes-R.-Becher-Institut geschlossen worden war, das wiederum als erstes deutschsprachiges Literaturinstitut seit 1955 in und im Sinne der DDR Schriftsteller ausbildete. In Wien, Berlin und neuerdings auch in Köln wird Literatur im Austausch mit benachbarten Künsten vermittelt: Vom szenischen Schreiben an der Universität der Künste in Berlin über sprachkünstlerische Ansätze an der Universität für angewandte Kunst in Wien bis zur Integration des angewandten Literaturstudiums in das Fach Mediale Künste an der Kunsthochschule für Medien in Köln wird auf einen offeneren und im Wandel befindlichen Literaturbegriff und -betrieb gesetzt.

Literaturinstitute bilden mittlerweile

einen festen Bestandteil des Literaturbetriebs.

Sowohl ein Blick auf die Publikationslisten der Institute (Biel verbucht 124 Publikationen, mehrheitlich Prosa, aber auch dramatische Texte und Lyrik) als auch in die Verlage, ein Blick in die Literaturhäuser und -agenturen offenbaren: Literaturinstitute haben sich zu zentralen Produktionsstätten von Gegenwartsliteratur entwickelt, und ihre Alumni gestalten den gegenwärtigen Literaturbetrieb auf allen Ebenen massgeblich mit.

Literarische Wachstumsabdrucke

Ohne Zweifel fungieren die Literaturinstitute für diejenigen, die nach Einsendung ihrer Textproben und einer künstlerischen Eignungsprüfung angenommen werden, als Beschleuniger für die künstlerische Entwicklung und dank einer gut ausgebildeten Patronagekultur auch als Eintrittskarte in ein wertvolles Netzwerk. Und die Plätze an den etablierten Instituten sind heiss begehrt – in Biel kommen auf ca. 15 Plätze pro Jahrgang um die 100 Bewerbungen. Gleichzeitig übernehmen die Studiengänge Aufgaben, die ein Verlag kaum mehr leisten kann oder will, z.B. eine langfristige und detaillierte Arbeit am Text oder ein intensives Betreuungsverhältnis – in Biel etwa wird jedem Studierenden für die gesamte Studienzeit ein Mentor an die Seite gestellt. Will man den Teil des Seminarangebots, der den Weg in einen Verlag oder (in Deutschland) die Vorteile eines Beitritts in die Künstlersozialkasse erklärt, als Verstand der Schreibstudiengänge bezeichnen, bildet die zeitintensive literarische Arbeit am Text ihr Herz.

In Textwerkstätten mit den Kommilitonen oder in Form von Lektoratsgesprächen mit den lehrenden Autorinnen steht die Arbeit an der Sprache im Zentrum: Hier wird Literatur zum Handwerk. Dass ebendieser Teil in der Schreibschuldebatte selten thematisiert wird, ist nur konsequent, denn hier würde man den eigentlichen Schutzraum betreten, in dem «Schreiben im Zwiegespräch»1 stattfindet. Die in diesem Praxiskollektiv entstehende Zwangsgemeinschaft kann ebenso Bereicherung wie Belastung für den eigenen Schreibprozess sein, gibt sich aber nach aussen solidarisch, so unterschiedlich die literarischen Überzeugungen auch sein mögen. Noch lange über die Studienzeit hinaus scheint für viele Alumni ein quasipatriotisches Nostalgiegefühl fortzubestehen; irgendwann trifft man sich dann wieder im literaturbetrieblichen Treppenhaus und hilft sich gegenseitig hoch.

Schreiben mit Erwartungserwartungen

Dabei sind die Schreibstudiengänge sowohl Symptom als auch Ursache für einen zunehmend professionalisierten Literaturbetrieb: Einerseits wird innerhalb der Studiengänge auf die funktionale Ausdifferenzierung der literarischen Welt reagiert, wenn die Studierenden beispielsweise über die Arbeit von Literaturagenturen oder die Anmeldung bei der VG Wort – bzw. in der Schweiz: bei der Pro Litteris – informiert werden. Andererseits verstärkt die Verberuflichung des Schriftstellers durch seine Ausbildung ebendiese häufig mit Sorge festgestellte Professionalisierung. Die Angst dahinter: Durch die immer ausgefeilteren Produktionsabläufe ist die darin entstehende Literatur nicht mehr Sand, sondern Rädchen im Getriebe; die passgenauen Vorgänge überformen die Literatur, indem die Autorinnen in ihrem Schreiben immer stärker durch Erwartungserwartungen eingeschränkt werden. Es wäre falsch zu behaupten, dass die Literaturinstitute mutwillig zu einer solchen Überformung durch opportunistische Vorausschau auf den Buchmarkt beitragen würden – denn auch wenn die Institute ihre Eleven auf den Literaturbetrieb vorbereiten wollen, ist ihr erstes propagiertes Ziel die Ermöglichung eines Schutzraums zur Entfaltung der individuellen Schreibpraxis. Und das Schweizerische Literaturinstitut sieht sich sogar mit dem gegenteiligen Vorwurf konfrontiert: Hier ziehe man sich zu stark aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, das Institut kranke an fehlenden Kontakten zur Aussenwelt, die Absolventen würden nicht in den grossen Verlagen ankommen.

Anekdoten aus anderen Instituten legen hingegen nahe, dass der Markt mitschreibt. In den Textbesprechungen werde schon mal darauf hingewiesen, dass eine homoerotische Textpassage vielleicht nicht so gut ankomme, umgekehrt werde eine Geschichte gelobt, weil das Thema gerade besonders populär sei. Solch eine marktlogische Antizipation birgt die Gefahr, homogene Schreibweisen und inhaltistische Trendliteratur zu befördern.

Der Elefant im Seminarraum

Als die Harvard-Universität 1957 den zwei Jahre zuvor mit «Lolita» bekannt gewordenen Schriftsteller Vladimir Nabokov als Professor für Literatur ins Gespräch brachte, soll sich der ebenfalls in Harvard lehrende Philologe und Semiotiker Roman Jakobson entschieden gegen dessen Berufung gewehrt und ausgerufen haben: «What’s next? Shall we appoint elephants to teach zoology2 Die Anekdote berührt eine zentrale Frage, die auch Studiengänge im deutschsprachigen Raum etwas angeht: Was genau qualifiziert eigentlich gerade Autoren zur Hochschullehre und wie lehren sie Literatur? Hier muss man mittlerweile zwei Typen unterscheiden: zum einen die, nennen wir sie mal, literarischen Autodidakten, die selbst nie an einer Schreibschule studiert haben und – gerüstet vielleicht noch mit Basisvokabular aus dem Germanistikstudium oder Erfahrungen aus Werkstattgesprächen – jungfräulich den Seminarraum betreten. Zum anderen die immer grösser werdende Gruppe an Autoren, die selbst an einem Literaturinstitut studiert haben und nun als Ehemalige zurückkehren.

«What’s next? Shall we appoint elephants to teach zoology?»

Jakobsons Widerstand gegen den lehrenden Elefanten ist über 60 Jahre her, und die Ausbildungslandschaft hat sich auch im deutschsprachigen Raum so weit verändert, dass die Institute eine ernsthafte und langfristige Berufsperspektive für Autorinnen eröffnet haben.3 Innerhalb der Schreibschulkultur hat sich ein Kreislauf gebildet, der die Alma Mater mit zu den attraktivsten Arbeitgeberinnen für Autoren macht, denn so viel ist klar: Die meisten Autorinnen können von ihrem literarischen Schreiben allein nicht leben. Sogar ein expliziter Kritiker der Creative-Writing-Programme wie David Foster Wallace hat Literaturkurse an der Universität besucht und strebte eine Lehrtätigkeit in einem ebensolchen Programm an. Foster Wallace war sich darüber im Klaren, dass er in seinem prekären gesundheitlichen Zustand – der Depression, die ihn später das Leben kostete – auf einen Job angewiesen war, der eine Krankenversicherung versprach, und also legte er alles daran, seinen Master im Kreativen Schreiben abzuschliessen, um anschliessend lehren und somit sozial abgesichert schreiben zu können.4

Wie viel Universität verträgt die Literatur?

In den USA ist diese Arbeitskultur für Schriftstellerinnen längst eine etablierte. Und um erneut auf den Elefanten im Raum zu verweisen: Mit Blick auf die rasante Ausweitung der amerikanischen Creative-Writing-Programme kritisierte der US-amerikanische Autor und Dozent Allen Tate schon 1964, dass diese sich zu einer «elephant machine – a machine for making other machines» aufblähen und so ein in sich geschlossenes Versorgungssystem entstehen würde, das eine literarische Kultur kreiere, die nicht mehr an die ausseruniversitäre anknüpfen könne: «the academically certified Creative Writer goes out to teach Creative Writing, and produces other Creative Writers who are not writers, but who produce still other Creative Writers who are not writers.»5 Die aufregende Frage dahinter ist die, welche Auswirkungen die Einhegung der Schriftstellerin in die Universität auf die in diesem Umfeld produzierte Literatur hat. Entsteht durch diese Nähe womöglich eine theorieinduzierte und vom literaturwissenschaftlichen Duktus geprägte Literatur, wie sie in akademischen Auftragsarbeiten wie der Poetikvorlesung deutlich auszumachen ist? Oder könnte man nicht umgekehrt argumentieren, dass der Autor an der Universität den Vorteil habe, sich unabhängiger von den ökonomischen Kriterien des Buchmarkts literarisch freier entfalten zu können? Aber auch hier ist kritisch zu hinterfragen: Wem kommt das Privileg zu, sich in das hochschulische «Nest» zu setzen? Auffällig ist, dass insbesondere studierte Autorinnen an die Literaturinstitute geholt werden, weil sie mit dem akademischen Habitus durchaus vertraut sind und vielleicht noch ein, zwei Poetikvorlesungen in petto haben. Wer aber bleibt bei der Bevorzugung sogenannter poetae docti aussen vor und wird nicht als Dozent in Betracht gezogen?

«That shit was too white» 

Während die Schreibschuldebatte in der breiten Öffentlichkeit angetrieben durch den (gerade in Deutschland weiterhin sehr populären) Geniegedanken weiter bei der Frage der Lernbarkeit von Literatur verharrt und die stilistische und thematische Homogenität der literarischen Leistungen rügt, gehen die Studierenden den Entstehungsbedingungen der institutsgewachsenen Literatur nach und klagen über fehlende Diversität im Lehrapparat.

Zur gleichen Zeit, als Florian Kessler auf den strukturell festgesetzten Klassismus in den Instituten hinwies, bemängelte der Pulitzer-Preisträger und ehemalige Creative-Writing-Student Junot Díaz an der eigenen Ausbildungsstätte die homosoziale weisse Dominanz, die die Geschichten von People of Color in den Textwerkstätten zu ihren Versionen umgestalten wollen würde. Prägnant konstatiert Díaz: «That shit was too white6

Ein erster öffentlicher Aufschlag gelang im deutschsprachigen Raum 2017 durch das sogenannte Sexismus-Dossier auf dem Merkur-Blog, in dem Studierende und Ehemalige institutsübergreifend ihre Diskriminierungserfahrungen während des Studiums niederschrieben. Vom Hildesheimer Institut aus hat sich so eine Diskussion über die Sichtbarkeit von Frauen und ihrer Literatur entzündet – vom männlichen Bildungskanon, der gelehrt wird, über die jovial-männerbündischen Verhaltensweisen bis hin zur Einstellungspolicy der Institute, durch die Frauen zu häufig von Schlüsselpositionen ferngehalten würden.7

Vom Debüt zum literarischen Ensemblespiel?

Aufregend widerspenstig und im Kontext der Kritik an Schreibschulen bemerkenswert sind die Praxiskollektive, die durch die gemeinsame Zeit an den Instituten entstehen und die übervorteilenden institutionellen, aber eben auch literaturbetrieblichen Strukturen künstlerisch-forschend aufgreifen und den bemängelten literarischen Gleichklang stören. Der Bieler Absolvent Donat Blum gründete gemeinsam mit der Kommilitonin Ivona Brdjanovic und dem Performancekünstler Johannes von Dassel die erste queere Literaturzeitschrift «Glitter – die Gala der Literaturzeitschriften». Das feministische Kollektiv «Institut für Chauvinistische Weiterbildung» um die Bieler Absolventinnen Katja Brunner und Daniela Janjic wiederum ist Beispiel dafür, wie institutsübergreifende Zusammenschlüsse aussehen können. Gemeinsam mit Autorinnen anderer Hochschulen bespielen sie mit ihrem losen Kollektiv Literaturfestivals und Theater.

Man wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für solche künstlerische Kollaborationen, die nicht selten durch ihren interdisziplinären Brückenschlag und die Zusammenarbeit mit anderen Kunststudierenden den engen Flur des jeweiligen Kreativbetriebs sprengen und in der kollektiven Ausrichtung vielleicht ja auch den Druck lindern können, ständig einzigartig sein zu müssen. Hier liegt ein enormes Potenzial der Institute, das noch nicht ganz ausgeschöpft wird und dem sich gerade die in die Kunsthochschulen eingebetteten Schreibstudiengänge widmen könnten.

Man wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für

künstlerische Kollaborationen.

Stattdessen wird der Fokus auf die literarische Einzelleistung gelegt; ein hoffentlich bald nach Studienabschluss erscheinendes Debüt ist das Nonplusultra. Verständlich, denn die gesamte Förderstruktur des Literaturbetriebs – von der Teilnahme beim Ingeborg-Bachmann-Preis bis zu den zahlreichen Aufenthaltsstipendien – ist auf den literarischen Solisten ausgelegt. Dementsprechend ist es dann doch nicht verwunderlich, dass die Literaturinstitute die Idee des Kollektivs als Gegenentwurf zum Originalgenie curricular nicht schon viel grösser (oder überhaupt!) aufgezogen haben und weiterhin am Einzelprojekt als Abschlussarbeit festhalten.

Dabei bilden die Kollektivprojekte, wie die aus den literaturinstitutionellen Reibungen in Leipzig entstandene Literaturzeitschrift «P.S. Politisch Schreiben. Anmerkungen zum Literaturbetrieb», anspruchsvolle und betriebskritische Gegendiskurse, denen man weder öde Nabelschau noch stilistische Homogenität, sprich: Inhaltismus, vorwerfen kann.

Vielleicht würde dem angewandten Literaturstudium ein bisschen mehr Abstand zum literaturbetrieblichen Benchmarking und mehr Mut zum (interdisziplinären) Ensemblespiel guttun. Künstlerische Kollektive schaffen durch ihre offene Vielstimmigkeit und Thematisierung der eigenen Wachstumsschmerzen jedenfalls die notwendige und vielleicht zu Recht vermisste Störfähigkeit der institutsgewachsenen Literatur, denn, um mit David Foster Wallace zu schliessen: «I had a teacher I liked» – also, um mit dessen Lehrer zu sprechen – «who used to say» – oder wiederum mit dessen Lehrer – «[G]ood fiction’s job is to comfort the disturbed and disturb the comfortable.»

  1. Johanne Mohs, Katrin Zimmermann, Marie Caffari (Hrsg.): Schreiben im Zwiegespräch. Praktiken des Mentorats und Lektorats in der zeitgenössischen Literatur. Bielefeld: transcript, 2019.

  2. Mit dieser Anekdote eröffnet D.G. Myers seine aufschlussreiche Abhandlung zu amerikanischen Creative-Writing-Programmen: The Elephants Teach. Creative Writing Since 1880. Chicago: Chicago Press, 1996.

  3. Vgl. Chad Harbach (Hrsg.): MFA vs. NYC. The Two Cultures of American Fiction. New York: Farrar, Straus and Giroux, 2014. 

  4. Daniel T. Max: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte: David Foster Wallace. Ein Leben. Übers. v. Eva Kemper. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014 (2012), S. 50.

  5. Allen Tate, zit. n. D.G. Myers: The Elephants Teach, S. 146 f.

  6. Junot Díaz: MFA vs. POC. In: The New Yorker (4/2014). Bittere Ironie der Debatte ist
    sicherlich, dass sich Díaz kurz darauf Vorwürfen der sexuellen Belästigung einiger Kolleginnen stellen musste.

  7. Siehe: Sexismus an Schreibschulen, unter: Merkur. Deutsche Zeitschrift für
    europäisches Denken (7/2017). Web: http://www.merkur-zeitschrift.de/2017/07/06/sexismus-an-schreibschulen-hildesheim/. Das Schweizerische Literaturinstitut dagegen war, nicht zuletzt durch die Mitbegründerin und aktuelle Leiterin Marie Caffari, von Beginn an auch auf Dozierendenseite weiblich geprägt.

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