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Felix Philipp Ingold: «Direkte Rede: LXXVII Selbstversuche»

Felix Philipp Ingold:
«Direkte Rede: LXXVII Selbstversuche»

 

Mit seinem aktuellen Buch «Direkte Rede» reiht sich Felix Philipp Ingold in eine literarische Tradition, die von den «Charakteren» des Theophrast bis zu Elias Canettis «Ohrenzeuge» reicht. Wie diese Vorgänger lassen auch die «Selbstversuche» eine ganze Typenreihe vor dem lesenden Auge vorbeidefilieren: in alphabetischer Folge geht es von der Aichingerin bis hin zum Zwillinger. Ingolds Neuerung besteht nun aber darin, dass er keinen deskriptiven Zugang wählt, sondern die verschiedenen Figuren direkt sprechen lässt. Zwar benutzt er durchgehend das Personalpronomen «ich», doch handelt es sich dabei um eine sprachliche Variable, die beliebig neu besetzt werden kann. «Wer ‹ich› sagt, hat mit sich gebrochen», schreibt der Autor in einer einleitenden Notiz – es ist die einzige Stelle, an der er selbst direkt das Wort ergreift.

Neben Personen treten auch Gegenstände auf – wie etwa ein Schreibtisch oder Kafkas rätselhaftes Dingwesen Odradek. Auch Gott meldet sich ziemlich genau in der Mitte des Buchs kurz zu Wort, hat aber ausser einer fahlen Selbstbestätigung nicht viel zu sagen. Er markiert quasi das leere Zentrum, um das sich die restliche Parade mehr oder weniger eitler Selbstbespiegelungen dreht. Denn ganz in der Tradition dieser Textgattung fällt oftmals ein kritisches Licht auf die porträtierten Charaktere, das die menschlich-allzu-menschlichen Unzulänglichkeiten mit mildem Spott entlarvt. Doch immer wieder funkeln auch kleine Philosopheme, Zeitdiagnosen, Aperçus und Sprachspielereien durch die verschiedenen Voten, die – wie der Untertitel nahelegt – allesamt «Selbstversuche» darstellen, das heisst: Reflexionen über das eigene Rollenverständnis. So wäre denn der einzige Vorwurf, den man dem Buch machen könnte: dass all die Figuren, selbst die einfältigsten, sich viel zu eloquent und vor allem viel zu scharfsinnig bekunden und durchleuchten, weil immer schon Ingolds diagnostische Stimme quasi ventriloquistisch durch sie spricht. Doch literarischer Realismus war Ingolds Sache nie. Vielmehr geht es ihm um poetische Versuchsanordnungen und die kreativen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Im Falle vorliegender Selbstversuche in fremder Rede ist das Resultat von fast etüdenhafter Leichtfüssigkeit: mit einem Hang zu Sprachwitz und Satire, was man bei Ingold a priori nicht unbedingt erwarten würde. So bleibt dem Buch nur zu wünschen, dass es kein Ladenhüter wird, der übrigens mittendrin auch zur Sprache kommt: «Als Buch langweilt man sich nie, man langweilt schlimmstenfalls den Leser» – diese Gefahr besteht hier glücklicherweise nicht.

Felix Philipp Ingold: Direkte Rede: LXXVII Selbstversuche. Wien: Passagen, 2016. 

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