Guy Krneta:
«Unger üs»
Der Plot passt auf einen Bierdeckel: Mann, Frau, Trennung, Kind, Vaterschaftstest. Drum herum wird ein «Familienalbum» gestrickt: der Grossvater, «Unggle Sämi», nervige Sippschaften, Dienstverweigerung, Porno im Knast, dazu Geschichtchen aus dem Puff und vom Erbrechen, von Politik und Zeitgeist, Phrasen wie «Lieber bi als nid drby» – auch Goethe wird reingefriemelt. Der Text kaut sich dabei andauernd wieder. Dass diese Redundanz den Figuren in den Mund gelegt wird, schützt vorm Vorwurf der Beliebigkeit des auktorialen Zugriffs, die Gmögigkeit der Sprache vor allzu viel Kritik.
Dann ein solcher Satz: «Komisch syg nume, het dr Grosvatter gseit, […] dass’r nümm wüss, was fürne Schprach si zäme gredt heige. […] Irgendwie heig’r ds Gfüeu, di heig Dütsch mit ihm gredt.» Die wiederkehrenden Reflexionen zur Sprache, zu Heimat, Fremde und Grenzen geben dem Text eine betörende Mitte. Selbst die Vaterschaftstest-Obsession des Erzählers
erfährt vor diesem Hintergrund eine Wende. Die Frage der Vaterschaft am «Sohn» wird mit der Frage der Urheberschaft des einzelnen an der «Sprache» gekoppelt.
Beim Lesen geht nichts ohne sinnliche Wahrnehmung: zu absurd erscheinen viele Worte auf den ersten Blick («usgwäuti Medien», «Rouschtueu»). Das Ohr liest hier mit, freut sich am Hin und Her der Figuren, das uns vor allzu viel beschreibenden Passagen bewahrt. Trotzdem herrscht keine Polyfonie in den Dialogen, es herrscht nur eine Stimme, diejenige Krnetas. An der resultierenden Monotonie ändert auch die zuweilen subtile indirekte Wiedergabe der Rede nichts, genauso wenig wie die träfen Joghurt-Witzchen oder, wohl um sich als literarischer Exeget des Egopop von Ecopop zu distanzieren, der Kalauer von der Schrumpfschweiz.
«Unger üs» ist ein heimlicher Mitschnitt verschiedener (Selbst-)Gespräche: es sind Krneta-Leaks, es ist kein «Familienalbum», wie der Umschlag flachst. Es ist eine lose Textsammlung, auf Vortrag getrimmt, auf Narrativität und Performanz, ganz auf den Atem des Autors abgestimmt, den wir bei der Lektüre im Nacken spüren. Zwischen Diavortrag, Bühnenpointe und Zitaten bleibt keine Vieldeutigkeit. Es bleiben mal mehr, mal weniger gelungene Miniaturen. Phrasen wie «PCs können nicht vergessen» oder «E-Banking ist wahnsinnig praktisch» werden auch in verfasster Mundart nicht literarischer. Je mehr man der Mundart zutraut, desto weniger haut einen Krnetas Buch um. Wer zweifelt nach Hebbel, Mani, Kuno noch an der Fähigkeit der Mundart, jedes Thema zu transportieren? Vom Schnäbi zur DNA, vom Liebeswahn zum Familienschlauch? Dialekt hat halt weniger Publikum als Hochdeutsch; dafür steigen Treue und Jöö-Effekt, und hat man «sech düredränglet dür di Masse, ix tuusig Lüt, füren a d Büni» und ebendort fest installiert, ist’s nicht mehr weit von der Publikation zur Buchpreis-Nomination. Aber mal ganz «unger üs»: «Erfunge isch schnäu mau. Aber när muesch non e Tumme finde, wo dr’s abchouft.»
Guy Krneta: Unger üs. Luzern: Der gesunde Menschenversand, 2014.