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Max Frisch: «Wie sie mir auf den Leib rücken!»

Max Frisch:
«Wie sie mir auf den Leib rücken!»

 

Ein Band voller Interviews mit Max Frisch, geführt zwischen 1959 und 1989, in denen die nicht immer hochverehrten Journalisten ihm zahlreich wie sprichwörtlich auf den Leib rückten: Kann das glücken? Doch höchstens nur, wenn in diesen Interviews alle Ecken und Kanten, Malaisen, Sperenzchen, Tiraden und Finessen des Grossmeisters aufscheinen. Wenn sie selbst ein literarisches Ereignis sind! Na, bei Frisch als Interviewpartner kann so viel gar nicht danebengehen. Also beginnt man mit der Lektüre.

Die unbequeme Nähe, die Frisch zu den Interviewern verspürt, ist immer manifest in diesen Interviews, und sie wird gesteigert dadurch, dass jene sanften Inquisitoren Frischs literarisches Markenzeichen, die Identitätsfrage, beharrlich apportieren und sie ausdauernd umkreisen. Man liest durchaus Dokumente der Unbehaglichkeit. Max Frisch erweist sich in diesem Format aber – auf durchaus trotzige Weise, möchte man sagen – mehr als in anderen als ein Meisterdenker. Wo in den Werken des Grossmeisters manchmal etwas behäbig eine menschliche Grundfrage auf die Grösse einer Wohnsiedlung gebracht wird, herrscht hier ein herrliches Mischgebiet aus Themen und Tendenzen vor – eigentlich romanhaft. Und seine Antworten auf Fragen zu Leben, Politik, Gesellschaft, Geschichte, der Schweiz und zu seiner Person und seinem Werk sind faszinierend präzise und klug: «Fast jede Politik arbeitet mit dem latenten Hass der Zukurzgekommenen, wobei die Zukurzgekommenen nicht nur die Minderbemittelten sind; es gibt allerlei Arten von Zukurzgekommensein.» Wie wahr bis in unsere Tage!

Allerdings stellt sich die Frage, wie viel nachträglich redigiert wurde durch den Kontrollfreak Frisch. Darüber gibt das von Thomas Strässle geschriebene Vorwort auch keine befriedigende Auskunft; immerhin stellt er klar, dass das vorbildlich mit Fussnoten und Literaturangaben versehene Buch nur eine Auswahl von Interviews präsentiert – aber welche? Eine von solchen, erfahren wir, die über «den engeren Rahmen ihrer Entstehung hinausweisen». Nun gut, das hätte man griffiger schreiben können.

Daneben liest man ein paar süffige Bonmots («Realität gibt es in der Schweiz nur im Geschäftsleben») und immer wieder dergleichen sanfte Schubser in Richtung seines Heimatlandes. Man beendet die Lektüre – mit einigem neuem Wissen. Doch es bleibt eine Frage: Warum führte der zu Interviews so begabte, aber sie offenbar so wenig geniessende Schriftsteller dennoch so viele? Um als richtig wichtiger Schriftsteller durchzugehen? Nein, man findet hier keinen literarischen Hochstapler oder Dünnbrettbohrer vor. Man hat es mit einem höllisch klugen Kopf zu tun, der, das ist die zentrale Erkenntnis des Bandes, nicht weiss, wohin er mit seiner Klugheit soll. Das literarische Ereignis und «eigentlich Romanhafte» dieses Buchs ist indes ein anderes als vermutet: Frisch zeigt uns in kluger Ratlosigkeit, was noch alles in ihm gesteckt hätte.

Max Frisch: Wie Sie mir auf den Leib rücken! Berlin: Suhrkamp, 2017.

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