Schweizer Literaturinstitut (Hrsg.):
«Fortschreiben / Ecrire Encore»
Bei Familienfesten hält man besser die Klappe – das gilt wohl auch für «Fortschreiben/Ecrire Encore», den Jubiläumsband, den Dutzende Absolventinnen und Absolventen des Literaturinstitus Biel gemeinsam geschrieben haben. Man könnte stattdessen das Format tadeln, für das sich das Schweizer Literaturinstitut zum Zehnjährigen entschieden hat. Der bilinguale Jubiläumsband besteht zuvorderst aus einem Kollektivtext in Form von literarischen Häppchen, die ehemalige und noch residierende Autorinnen und Autoren binnen 72 Stunden zubereiten mussten. Einziger Rezepthinweis: der Vorgängertext. Ein bunter Alma-Mater-Kuchen entsteht so, nicht nur buchgestalterisch.
Aber nehmen wir die Kerzen ab und schneiden das Backwerk an: da findet sich das eine oder andere Kabinettstück. Etwa Baba Lussis Text «AD PORTAS INC.», der den seichten Vorgängertext aufgreift und daraus eine rhythmische Neuversion der Türhüterparabel kreiert. Hier schwingt die Tür des Texts auf und man mag hindurchgehen. Es gibt sie, Autorinnen und Autoren, die sich literarisch forsch reiben, anstatt um jeden Preis fortzuschreiben. Man muss sie allerdings suchen zwischen «Ach, ist das adrett» und «lalala» – dem ersten und dem letzten Satz des Bandes. Sprachspiele bleiben zu häufig auf diesem Niveau. Die serielle Form scheint ich-erzählerische, homogene Texte zu begünstigen. Und über Satzkrücken wie «Beim Aussteigen schneit schlichter Schnee» sollte man trotz beschränkter Schreibzeit hinauskommen.
Gelungen ist der zweite Teil, der in Form von Korrespondenzen zwischen Lehrenden und Ehemaligen die Bandbreite an Lebensläufen und Arbeitsweisen durchscheinen lässt, die dem Bieler Boden entwachsen. Feinsinnig wird über das «Wuchernlassen und vom Ordnen» während des Schreibprozesses oder über das Selbstverständnis als Schriftstellerin nachgedacht. Der anschliessende «Essay», hier ein Euphemismus für «Werbetext» (Häppchen gefällig? «Die von AbsolventInnen veröffentlichten Bücher füllen bereits einige Regalmeter.» Ja, sogar die Phrase «fordern und fördern» findet man), wiederholt und verflacht lediglich das, was zuvor in den teils intimen Schriftwechseln reflektiert wurde. Angesichts des Anlasses – «Hoch soll es leben, das Schweizer Literaturinstitut!» – sei der werbende Einschlag verziehen. Das literarische Herzstück hätte dagegen durchaus reifen können und sich nicht dem «Und so weiter …» des Fortsetzungskonzepts unterwerfen sollen.
Schreiben, das ist eine zentrale Erkenntnis, die die Schreibinstitute vermitteln, heisst nicht einfach nur «fortschreiben», sondern auch Redigatur, Überarbeitung, Liegenlassen und Zurück-an-den-Text-Gehen. Davon spürt man hier wenig. Was als literarischer Chor gedacht war, der dem Literaturinstitut Biel ein vielstimmiges Geburtstagsständchen singen soll, lässt leider den Eindruck entstehen, dass gerade einmal Luft geholt werden konnte, bevor der Text auch schon fertig sein musste.
Schweizer Literaturinstitut (Hrsg.): Fortschreiben / Ecrire Encore. Biel: die brotsuppe, 2017.