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Paul Nizon: «Die Belagerung der Welt»

Paul Nizon:
«Die Belagerung der Welt»

 

Er hat nicht nur Bewunderer, und manche Kritik an seinem lebensgierigen L’art-pour-l’art-Dandytum, seiner herrischen Verweigerungsattitüde, seinem kaum mehr zeitgemässen Frauenbild oder seiner oft arg selbstverliebten Ego-Inszenierung als letzter genuiner Weltstadtpoet mag ihre Berechtigung haben. Aber selbst wenn es viele nicht gern hören: Paul Nizon, 1929 in Bern geboren, ist eine der grossen Figuren der Schweizer Gegenwartsliteratur. Das Lebenswerk des seit 1976 in Paris lebenden Autors, der seit seinem brillanten Rom-Buch «Canto» (1963) bei Suhrkamp veröffentlicht, besteht, wie Anne Schülke unlängst plausibel herausgearbeitet hat, aus hybriden Texten an den Gattungsgrenzen zwischen Roman, Essay und Journal. Den meisten Lesern ist Paul Nizon durch den Aufsatzband «Diskurs in der Enge» (1970/73) und Prosakunstwerke wie «Stolz» (1975/78), «Das Jahr der Liebe» (1981/84), «Im Bauch des Wals» (1989) oder «Das Fell der Forelle» (2005) bekannt. Doch auch fünf umfangreiche Journalbände hat er seit 1995 publiziert, und nicht wenige Kritiker halten diese Aufzeichnungen, die laut Autor nur knapp ein Zehntel seiner Notizen umfassen, für sein grösstes Werk. Martin Simons hat daraus eine Art «Best of…» komponiert und mit einem zwar ausreichend instruktiven, aber leider nicht übermässig inspirierten Vorwort versehen. Über seine Auswahl wird man nicht rechten wollen: «Die Belagerung der Welt» kennt kaum Längen oder Wiederholungen, wirkt immer wieder spannend wie ein Krimi und ist doch viel mehr: ein bewegendes, leidenschaftliches Werk eines lebenslang die Freiheit und das Schöne suchenden Sprachkünstlers.

Die mit Nizons Billigung ausgewählten Texte sind chronologisch angeordnet und reichen von den sechziger Jahren des 20. bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Deutlich wird gleich: Schreiben und Leben sind bei diesem Künstler, den die Schweiz niemals ganz losgelassen hat, ein- und dasselbe. Unübersehbar ist ausserdem, dass Nizon aus sehr vielfältigen Quellen schöpft und dass Malerei und bildende Kunst grössten Einfluss auf sein Schaffen haben – geradezu überlebenswichtig waren ihm die Begegnungen mit Leben und Werk von Robert Walser und Vincent van Gogh. Man sieht auch, wie wertvoll ihm sein Verleger Siegfried Unseld war, wie ihm sein allzu väterlicher Förderer Max Frisch zunehmend auf die Nerven ging – und wie sehr er Elias Canetti schätzte: «Man fühlt sich wunderbar gehalten und gesteigert in seiner Gegenwart und im Guten bestätigt.» Doch es sind nicht die kunst- und literaturgeschichtlichen Enthüllungen allein, die die Lektüre empfehlenswert machen, es sind auch die zauberhaften poetischen Impressionen aus Rom, London oder Prag, dazu die vielen trefflichen Bemerkungen zu zeitgeschichtlichen Phänomenen. Bewundernd und dankbar staunt man über Nizons geschliffene, in viele Richtungen funkelnde Sprachbilder. Und glaubwürdig ist der fast obsessiv an sich selbst zweifelnde Dichter auch: «Ich habe Angst – vor mir. Vor meiner offenbar nicht regulierbaren Verschwendungssucht, Zügellosigkeit, Anarchie. Und Angst, dass ich nicht hinausgelange: ins Freie eines grossen Werks, einer grossen Entwicklung, einer grossen Kurve. Also Realisierungsangst.» Paul Nizons Lebenswerk allerdings zeigt: Realisiert hat er denn doch sehr viel. «Die Belagerung der Welt» macht Appetit auf mehr, und damit hat dieser Auswahlband seinen Zweck erfüllt.

Paul Nizon: Die Belagerung der Welt. Romanjahre. Hg. und mit einem Vorwort von Martin Simons. Berlin: Suhrkamp, 2013.

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