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Lukas Bärfuss: «Malinois»

Lukas Bärfuss: «Malinois»

«Beliebigkeit und innere Zerrüttung»

 

Was macht der Rezensent, wenn ihn von den Erzählungen des zu besprechenden Bandes (noch dazu vom jüngsten Büchner-Preisträger) manche begeistern, andere verstören und einige wenige ratlos zurücklassen? Nun, er stellt sich der Aufgabe.

Es geht um die Erzählungen aus Lukas Bärfussʼ aktuellem Buch mit dem nebulösen Titel «Malinois» (ein typischer Bärfuss, aber wir werden den Nebel hier nicht lichten!). Im Mittelpunkt der Geschichten stehen ausschliesslich männliche Protagonisten, die mehr oder weniger heftig aus ihren gewohnten Lebensbahnen geschleudert werden. Eine unverhoffte Begegnung, ein kurzer irritierender Moment kann genügen: So ist es in «Der Keller» der flüchtige Blick einer Fremden, den Daniel, auf dem Rad und dem Weg nach Hause, erhascht. Sekunden später wird er überfallen. Wie reagiert Daniel? Er verkriecht sich, verarztet sich notdürftig selbst und belügt seine Frau am Telefon, er bleibe über Nacht im Büro.

In anderen Versuchsanordnungen lässt Bärfuss Menschen auftreten, die lang gehegte Wünsche endlich in die Tat umsetzen wollen. In «Ein Engel in Erding» ringt sich der Ich-Erzähler dazu durch, nach achtzehn Jahren seine grosse Liebe zu besuchen. Doch schon auf dem Weg zu ihr gerät er ins Stocken: «Er verlor sich zwischen den Hügeln. Wie eine Murmel fühlte er sich, kullerte in eine Kuhle, kam den Abhang nicht wieder hoch.» Man darf sich Bärfussʼ Sisyphus aber keineswegs als glücklichen Menschen vorstellen, im Gegenteil: «Ich bin eben als Angsthase zur Welt gekommen», gesteht er der älteren Nachbarin, nachdem er – endlich am Ziel angekommen – vergeblich bei der früheren Freundin geklingelt hat.

Sprachlich wählt Bärfuss für die Vermittlung dieser ungewöhnlichen Geschehnisse eine besondere Form: nüchtern und kühl-distanziert, bisweilen wie ein Chronist berichtend. Vergleiche werden nur behutsam, dann aber sehr treffend eingesetzt. Dann und wann schlägt er auch einmal einen ironisierenden Ton an, so in einem der Texte, in denen es um Bärfuss selbst und zwei Schriftstellerkollegen geht, den realen Roberto Bolaño und den fiktiven Schweizer Dramatiker Martin Babian. Denn diese Texte enthalten die ein oder andere Spitze gegen den Literaturbetrieb, z.B. den «Literaturclub» des SRF oder die Solothurner Literaturtage. Dort las der Ich-Erzähler (resp. Bärfuss) zum ersten Mal im Landhaussaal. Höhepunkt aber war das Bankett der Autoren: «Du hast es geschafft, …, höher geht’s in deinem Beruf nicht, ein Bankett aus reinem Fleisch, dies ist der Dichterhimmel!»

Im Kern geht es jedoch um Zaudernde und Zögernde, um Zerrissene und um zwischen den Gewohnheiten des Alltags und intimen Wünschen Zerriebene. So spiegeln diese Texte im Kleinen das wider, was Lukas Bärfuss in seiner Dankesrede zum Büchner-Preis als bestimmend für unsere Zeit beschworen hat: «die Unruhe, die Beliebigkeit und die innere Zerrüttung». Also lesen Sie Bärfussʼ Erzählungen, eine ebenso lohnende Lektüre wie seine Novelle und die Romane.


Lukas Bärfuss: Malinois. Göttingen: Wallstein, 2019.

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