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Sibylle Berg:
«Der Tag, als meine Frau einen Mann fand»

 

Will ich wirklich ausgerechnet von Sibylle Berg alles über Sex erfahren? Ja, ich will. Weil sie so unpeinlich über peinliche Dinge schreiben kann, so schonungslos und doch liebevoll.

Am Anfang des Tages spielt Sex, wie man ihn sich so vorstellt, dann erst einmal eine untergeordnete Rolle: Chloe und Rasmus sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Sie wohnen in einem Architektenhaus mit Sichtbetonwänden am Stadtrand, die Wohnung gehört Rasmus’ Mutter. Abwechselnd lässt Sibylle Berg die beiden erzählen, was in ihnen und zwischen ihnen vorgeht – und was nicht: Rasmus weiss, dass er als Theaterregisseur gescheitert ist und einen Mutterkomplex hat, Chloe weiss, dass sie vielleicht mehr hätte werden können als die Frau eines Verkannten, es aber vielleicht gar nicht wollte. Als Paar sind sie einander Heimat, sie kümmern sich umeinander, und wie lächerlich der andere auf dem Klo aussieht, ist irgendwie okay – man ist schliesslich dankbar dafür, dass jemand einen überhaupt aushält. Nur der Sex: «Das war noch nie unsere Stärke.» Ohne Lust und Begierde wird das Mindestprogramm abgespult, das von Paaren eben erwartet wird: «Wir wollen nicht ficken», vermutet Chloe, «aber wir fügen uns.»

Das alles ist mehr als eine Homestory aus der Beziehungshölle: Wie Sibylle Berg diese Suppe aus Gewohnheit, Müdigkeit und lauwarmen Selbstzweifeln beschreibt, ist vor allem deshalb grossartig, weil sie die Risse in dieser Art Glück subtil zeichnet, an den unmöglichsten Details verdinglicht – «dieses verdammte Zuhause mit Zetteln im Treppenhaus» –, und weil immer auch ein Schimmer Nachsicht für das himmelschreiende Unvermögen der Protagonisten durchscheint. Diese Zwischentöne machen vielschichtig, was sonst nur bissig wäre. Sprachschöpferisch ist Berg wie immer eine Wucht.

Rasmus und Chloe: Es könnte immer so weitergehen, und es wäre nicht einmal unangenehm. Tut es dann natürlich doch nicht. Als Rasmus irgendwo in Afrika mit Jugendlichen ein Theater bauen und Goethe aufführen möchte, was zwingend nach hinten losgehen muss, begleitet ihn Chloe, natürlich. Afrika ist vor allem heiss, der Strand voller Müll, das Hotel voller Insekten. Aus Langeweile wird ein naher Pauschaltouristenort besucht, dort gibt es Alkohol und Drogen. Es wird der titelgebende Tag, als…

In einem sogenannten Massagesalon öffnet sich für Chloe das Tor zu längst entschwunden geglaubten Welten – und für Rasmus das zur Vorhölle, wo «Männer, die Herbert heissen und den Hosenstall schon geöffnet haben» wohnen. Masseur Benny schafft, was Rasmus in zwei Jahrzehnten nie gelungen ist: Chloe will Sex. Und den holt sie sich. Rasmus bleibt im Hotel zurück und ist innert Stunden vergessen.

Ausgerechnet jetzt, da alles Drama und Wahnsinn ist, verliert die Erzählung an Schwung, wird vorhersehbar, die Figuren klischeebehaftet: Chloe dreht am Rad vor Geilheit und Eifersucht, Rasmus lässt sich gehen, Hand am Schwanz und Kopf gegen die Wand. Nach dem Rückflug dann kaltes, wort- und ratloses Nebeneinander, in einem Zuhause, das nichts Gemeinsames mehr hat.

Zum Glück taucht unvermittelt Benny auf und zieht ganz selbstverständlich mit ein in die geschmackvolle Sichtbetonwohnung. Nun sitzt das Sexproblem leibhaftig auf dem weissen Sofa und verursacht Brandlöcher – eine ménage à trois in jedem Sinn und mit ständig wechselndem Aggregatzustand. Es geht hoch hinaus auf der Absurditätsskala, doch mit dieser Zuspitzung gelingt die Wende zu einem furiosen Schlussteil, in dem wirklich nichts ausgelassen wird.

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. München: Hanser, 2015.

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