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Überlegungen zum Homogenisierungsverdacht in Schreibstudiengängen anhand von Mineralöl, Schopfmakaken und Streichinstrumenten
Regina Dürig, zvg.

Überlegungen zum Homogenisierungsverdacht in Schreibstudiengängen anhand von Mineralöl, Schopfmakaken und Streichinstrumenten

 

 

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(                                                                                      )

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Ich habe im Abschlussjahr am Literaturinstitut zur Recherche für eine Figur eine Woche lang an der Geigenbauschule Brienz hospitiert. Das war, abgesehen vom sehr frühen Aufstehen, ganz hervorragend: das leise Feilen, das Schauen, das Holz. Die wichtigste Erkenntnis war: Die Masse für alle Geigen, die neu gebaut werden, werden an einer Stradivari genommen. Ich will hier nicht die Frage des Lacks usw. diskutieren, sondern die Tatsache, dass da Generationen von sehr guten Handwerker*innen Stradivaris bauen, die eben nie Stradivaris sind. Ich meine damit: In aufrichtigster Ernsthaftigkeit geht es ums akkurate Kopieren und doch hat jedes Instrument seine unweigerliche Einzigartigkeit, seinen eigenen Klang.

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Selbst wenn es also das Ziel wäre (Konjunktiv IV), die Schreibstudierenden in eine Gleichartigkeit zu dirigieren, wäre das ziemlich unmöglich. Erstens: Der natürliche Hang und das gute Recht der bildungsberaumten Gemüter, Anweisungen zu unterlaufen, wo es nur geht. Zweitens: Die Eigenheiten der Stimmen der jungen Autor*innen, ihr Klang, den sie – wenn auch leise, möglicherweise – haben müssen, um die Eignungskommission zu überzeugen und zum Studium zugelassen zu werden.

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Ich bin naiv, könnte man mir vorwerfen wollen: Natürlich muss eine Angleichung nicht gewollt sein, kann sich aber unbemerkt eingeschlichen haben. Statistiker gehen ja so weit, zu glauben, dass jede*r Primat*in in der Lage ist, Shakespeare zu schreiben, sofern nur eine Schreibmaschine, Papier und genügend Zeit vorhanden sind. Bei einem (naturgemäss nicht in die Unendlichkeit reichenden) Experiment im Zoo Paignton, bei dem Schopfmakaken einen Computer ins Gehege gestellt bekamen, stellte sich das Unausweichliche heraus: Es war gar kein neuer «Hamlet», der entstand, sondern einfach nichts (siehe archive.org «Notes towards the complete works of Shakespeare»).

Eine seriösere Antwort auf die Frage der Angleichung ist erstens in den Veröffentlichungen der Absolvent*innen zu finden – einfach mal zufällig drei auswählen und die Kon­traste geniessen – und zweitens im seltsamen Primat der langen Form, das sich, vergrössert, im deutschen Literaturbetrieb wiederfindet: Wer Kurzgeschichten (oder, bewahre, noch Kürzeres) schreibt, bekommt andauernd zu hören, dass sich das nicht verkaufen können werde, dass es ohnehin viel schöner wäre, einen Roman aus dem Stoff zu machen. Dieser Umstand könnte eine Erklärung für die prädominante lange Prosaform sein, aber ich glaube, es gibt eine zweite: Viele, die anfangen zu schreiben, schreiben kurz, weil es das ist, was sich ergibt, wofür die Energie reicht, was das Gespür überblickt. Wie genau man es anstellt, länger als eine, zwei, drei Seiten zu werden, ist etwas, das viele lernen wollen (und um zu lernen, studiert man schliesslich). Denn länger werden impliziert oft: Das Schreiben aus spontanen, mehr oder weniger unkontrollierbaren Ausbrüchen zu überführen in eine verlässliche Praxis, dass also nicht «es», das Schreiben selbst, schreibt, sondern die Autorin, der Autor.

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Vom Zoo in die USA, wo eine gewisse Neigung zu rezepthaften (Schreib-)Anleitungen festzustellen ist: So bekommt man als Teilnehmerin eines Kreatives-Schreiben-Einsteigerkurses (nichtuniversitär) tatsächlich eine Formel an die Hand, die zu «besseren» Texten verhelfen soll. Die Formel lautet: OIL. Öl oder Kraftstoff, wird den Schreibbegeisterten, die sich fleissig Notizen machen, eingeschärft, brauche es, um die Schreib­maschine am Laufen zu halten. Mehr noch: Ohne O, I und L sei es schlechterdings unmöglich, ins Schreiben zu geraten.
Erwartungsvolles Hervorholen der Textmarker. In einem insbesondere im Vergleich zur Gedrungenheit des Kursraums viel zu grossen Hemd führt der Workshopleiter aus: O wie observation (Beobachtung), I wie imagination (Fantasie) und L wie Language (Sprache).

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Ich schreibe das seither auch manchmal an die Tafel, um zu sagen, was ich in meinen Schreibateliers, egal wo ich sie gebe, nicht will: Schablonen. Da ich annehme, dass ich nicht die einzige bin, die keine Lust hat, zehnmal denselben oder ähnlichen Text-Bauklotz zu besprechen, gehe ich davon aus, dass es allen mehr oder weniger um das Gleiche geht wie mir: um Vielfalt, um Wendungen, um Entdeckung, um Freiheit.

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Dass gewisse Aufgabenstellungen (z.B. fünf Minuten Schreibzeit zu einem Bild oder ersten Satz) Ähnliches hervorbringen, ist unvermeidlich: Alle wissen irgendwann, wie viel sie in fünf Minuten schreiben können, sie kennen ihren Ton, ihre Herangehensweise. (Das ist ein Schritt auf dem Weg zu lernen, wie es nicht das Schreiben ist, das schreibt, sondern man selbst. Die Frage ist: Wohin führt so ein Text in der Weiterarbeit?) Mit den Bieler Studierenden des ersten Jahres habe ich einmal, nachdem wir über den Verdacht der Vorhersehbarkeit der Texte gesprochen hatten, ein Experiment durchgeführt: Alle haben ausgehend vom gleichen Satz fünf Minuten geschrieben. Dann hat jeder den Namen von jemand anderem aus dem Atelier gezogen und musste als diese Person einen Text zum Satz von vorher, wiederum in fünf Minuten, schreiben. Anschliessend haben alle sämtliche Texte anonymisiert und durcheinandergemischt gelesen und versucht, herauszufinden, welches die Originaltexte sind und welches die Fakes sind. Das Ergebnis war: Die Fakes (soll klingen wie X, ist aber nicht von X) wurden mit hoher Trefferquote identifiziert (in manchen Fällen wurde sogar erkannt, wer versucht hatte, zu fälschen). Die Zuordnung der Originale gelang in deutlich weniger Fällen.

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Ha!

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Schreiben unterliege der Geheimhaltung, sagt Roland Barthes in seiner Vorlesung zur «Vorbereitung des Romans». Zielt das Schreibausbildungsunbehagen mancher in Richtung einer verfrühten, unguten Exponierung? Sorgt man sich, dass etwas, das eigentlich im Verborgenen bleiben sollte, plötzlich ans Licht geraten könnte? (Das Unheimliche, raunt Freud.) Oder ist es der Umstand, dass man mit Sprache über Sprache redet? Dass also, im Gegensatz zur freien Kunst beispielsweise, vielleicht kein Rest bleiben kann, weil Medium des Werks und Medium der Reflexion sich decken?

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Ich möchte gegenfragen, warum nicht auch Lektoren dem Verdacht der Gleichmachung unterzogen werden, die ja noch dringender als eine Bildungseinrichtung Interesse daran haben müssten, Erfolge zu wiederholen. Bzw. wenn Lektoren nicht, warum dann Studiengänge? Ich möchte auch gegen­fragen, warum man jungen Künstler*innen zutraut und zugesteht zu wissen, dass sie Kunst machen und Feedback haben wollen, jungen Schreibenden aber nicht.

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In meiner Erfahrung ist es nämlich genau das, worum es geht in einer Schreibausbildung: Grund haben, um sich zu trauen, zu schreiben. Das ist, vor allem wenn man, wie zum Beispiel ich, in einem einigermassen kunstfernen Elternhaus aufgewachsen ist und/oder ohne die richtigen Freunde/Bekannten/Lehrpersonen und/oder ohne ein hervorragendes Selbstvertrauen und/oder ohne die finanziellen Möglichkeiten, sich das Schreiben als Nebenjob leisten zu können, ein ziemliches Privileg. (Plötzlich beschleicht mich der Verdacht: Ist das Herumnörgeln an den Schreibausbildungen kein spätes Echo der Geniegläubigkeit, sondern eine latente Verteidigung der Bildungsbastion Literatur? Wenn ja: Wer gegen wen?) Man hat also im Kontext des Studiums drei Jahre lang Zeit, sich dem Schreiben zu widmen. In seiner literarischen Entwicklung wird man von Kommiliton*innen und Dozierenden begleitet, indem diese ihre Leseeindrücke regelmäs­sig wiedergeben. So, wie das manche Verleger vor zwanzig, dreissig Jahren noch für junge Autor*innen getan haben, erzählt man, noch haben tun können.

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Wenn Textbesprechungen (egal wo) gut sind, geht es keinesfalls um die Personen, die ihn besprechen, und deren Annahmen oder Vorlieben. Es geht darum, dem Text zuzuhören, ihm auf die Spur zu kommen und zu schärfen. Es gibt das lesende Subjekt und das schreibende, und die Philosophin Luce Irigaray würde sagen: Das erste Wort, das wir sagen, um dem anderen als Anderem zu begegnen, muss immer Schweigen sein.

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