Claude Cueni:
«Der Henker von Paris»
Egal, wie gross dein Schmerz ist, keiner wird dich hören.» – Schafott, Schwert, Strick, Zange, siedend heisses Wasser oder Öl, Fallbeil: Nichts als profane Werkzeuge der getreuen Pflichterfüllung eines Nachkommens der Familie Sanson, einer der berühmtesten Henkersdynastien in der Geschichte Europas. Der «Monsieur de Paris», Charles-Henri Sanson, angehender Henker in der vierten Generation, jedoch will sich der blutigen Tradition entgegenstellen. Arzt werden statt Henker, heilen statt töten. Er scheitert – und wird der Bekannteste des Geschlechts, nicht nur weil er vor, während und nach der Französischen Revolution rekordverdächtige 3000 Menschen auseinanderreisst, erhängt oder köpft. Auch weil zuletzt kein Geringerer als sein oberster Auftraggeber, König Louis XVI – zu diesem Zeitpunkt nur noch Bürger Capet –, auf seinem Schafott landet. Der Stoff des schuldlos Schuldigen, gefangen in den Zwängen seiner Zeit und unrettbar ertrinkend im Blut seines Schicksals, er schreit förmlich nach irgendeiner Art von künstlerischer Umsetzung. Alle Ingredienzien der griechischen Tragödie sind schliesslich da: Konflikt, Pathos, Katastrophe…
Viel Potential also, Autor Claude Cueni, der schon einige historische Romane verfasst, ja ansprechende Bestseller geschrieben hat, weiss es jedoch nicht recht zu nutzen. Was anfangs noch aufregend und mitunter tragisch erzählt daherkommt, wird zu einer Allgegenwart von Katastrophe in Form von in die Erzählung eingeschobenen, oberlehrerhaften Einsprengseln, die dem Spannungsbogen des Romans mehr als abkömmlich sind. Unfreiwillig komisch wird es dort, wo sich die Dialoge zwischen Charles-Henri Sanson und dem Pariser «Who-is-who» zu häufen beginnen: Tobias Schmidt, immerhin Erfinder der Guillotine, und einige ganz und gar unchristliche Patres informieren Charles (und den Leser) nur zu gerne darüber, was in Europa sonst noch so geschehen wird – in den nächsten paar hundert Jahren: Den Händlern, nicht den Adligen, wird die Welt gehören; Religion wird durch Wissen ersetzt werden, und mit der Konservierung von Nahrungsmitteln werden irgendwann gar Weltkriege möglich.
Das Leiden und mithin das ungerechte Schicksal Charles-Henri Sansons geraten während dieser deplacierten «Ausritte in die Geschichte» wie zwangsläufig in den Hintergrund, daran ändern dann auch die dauernden semantischen Reanimationsversuche dieser Tragik nichts: «Erkennst du den Fluch?», «Es ist der Fluch», «Fluch», «Fluch», «Fluch», «die Krankheit der Sansons», die «Erbsünde», «das Erbe der Sansons» – und so fort. Sie tragen vielmehr ihren Teil zum verhängnisvollen schulmeisterlichen Grundtenor des Romans bei, unterstützt von alles abschliessenden erzählerischen Einordnungen, die den Bedarf an eigener Phantasie ähnlich einengen wie die geschlossene Gugel des Henkers Sichtfeld.
Claude Cueni: Der Henker von Paris. Basel: Lenos, 2013.