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Andres Müry: «Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel»

Andres Müry:
«Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel»

 

Seit vielen Jahren lebt der 1948 in Basel geborene Andres Müry in Salzburg – wenn er nicht auf Reisen ist. Man kennt ihn als Dramaturgen, Theaterkritiker und Kulturjournalisten. Jetzt legt er sein erstes Prosabuch vor: vier Stories, die in Wien spielen, im Waldviertel und im Thomas-Bernhard-Land rund um Gmunden. Müry schreibt elegant und kann raffinierte Geschichten bauen. Der Leser wird gut unterhalten. Wobei dieser Autor recht schräge Stories liefert, die nicht unbedingt gut ausgehen. Oder gar nicht.

«Der Name stand gross und deutlich am Schaufenster der Galerie: Rebekka Jakobson […] Es traf mich wie ein Schlag. Eine Rebekka dieses Namens hatte ich vor bald vierzig Jahren in Salzburg gekannt und seitdem nie wiedergesehen.» So fängt die Titelgeschichte an und ähnlich auch die anderen Erzählungen: Menschen, die sich vor langer Zeit einmal trafen und einander dann gründlich vergessen haben, begegnen sich zufällig wieder. Allmählich, wie todbringendes Nervengift, bringen die Geister des Damals und die immer genauer werdende Erinnerung an die eigene Vergangenheit die Gegenwart gehörig aus dem Gleichgewicht. Eine kurze Jugendliebelei bei Mauthausen war gar nicht so harmlos: «Am Ende gab es zwei Tote.» Der einstige Schauspielerkollege Detlef Krause, «Westberlin, Anfang der Achtziger», entpuppt sich als empfindsame und zugleich gewalttätige Leiche, die jahrzehntelang den Weg des erfolgreichen «Tatort»-Kommissars Harry gepflastert hatte. Ein Klatschreporter, dem ein Routineauftrag zum slapstickhaften Durcheinander geraten ist, sitzt ratlos am Traunsee: «Über Nacht war es Herbst geworden.» Und ein Schweizer Diplomat namens Looser, der beim Wort «Vaterstadt» noch nie an sich selbst gedacht hatte und am Eingang zur Wiener Albertina einen alten Freund aus Amerika wiedertrifft, wird plötzlich sehr nachdenklich: «Teresa hatte also gar nicht abgetrieben.»

Kühl und intelligent spinnt Müry seine Erzählfäden und lässt seine Figuren durch biographische Dunkelzonen stolpern. Die Wiederkehr des Verdrängten, wie Sigmund Freud das genannt hat, gräbt die scheinbar fest im Jetzt verankerten Herren gehörig um. Letztlich folgt nicht viel daraus. Aber dass die Vergangenheit nicht tot ist, ja nicht einmal vergangen – das führen Andres Mürys skurrile, krasse und intensiv melodramatische Geschichten recht eindrucksvoll vor Augen.

Andres Müry: Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel. Frankfurt am Main: weissbooks.w, 2016.

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