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Brief aus dem Tessin (diciannove)


Die Wendung «Terre de voyage» (Reiseland) weckt Assoziationen an Orte, die darauf warten, entdeckt oder erneut besucht zu werden, animiert aber auch dazu, das Wohlbekannte mit anderen Augen zu sehen. «Terre de voyage» lautete das Motto des 4. Festival du livre suisse, das vom 20. bis 22. September in Sitten stattfand. Ehrengast war die italienische Sprache, und so machte sich auch eine kleine Tessiner Delegation auf den Weg ins Wallis. Die Aussicht auf eine Reise, selbst wenn sie nicht weit in die Ferne führt, ist immer verlockend, und so nahm ich das Angebot gern an, mich zu Prisca Agustoni, Fabio Andina, Anna Felder, Claudia Quadri und Anna Ruchat dazuzugesellen.

Die Reise der neuen Casa della Letteratura in Lugano geht nach einer einjährigen Aufwärmphase nun richtig los. Tommaso Soldini, Catherine Lovey und Barbara Sauser eröffneten das Saisonprogramm mit einem Abend rund um Carl Spitteler und das Thema Neutralität. Besonders Lovey, die in der zu Spittelers Nobelpreis-Jubiläum in drei Sprachen erschienenen Anthologie «Neue Schweizer Standpunkte» dessen berühmte Rede von 1914 ironisch persifliert, betonte eindringlich, wie viel Spitteler uns auch heute noch zu sagen hat.

Exotischeres bot das 14. Festival Babel in Bellinzona: «Non parlerai la mia lingua» (Du wirst meine Sprache nicht sprechen) lautete das Motto, «unerhörte, unannehmbare, unzugängliche Sprachen» wurden erkundet. Und das durchaus auf unerhörte Weise: Neben Lesungen und Gesprächen gehörten kollektives Schreiben und Übersetzen, Performances, Konzerte, «Gegengeschichten» und ein Rave zum Programm. Eingeladen waren unter anderen Irvine Welsh, Valeria Luiselli, Claudia Durastanti und der Architekt Luigi Serafini.

Eine Reise nach Hause durch Kindheitserinnerungen ist der neue Gedichtband «Gratosoglio» von Andrea Bianchetti (Sottoscala). Die ausgewogenen, feinfühligen, persönlichen Gedichte erfassen mit sparsamen Worten die Intimität einer Familie und eines Viertels am Fluss Lambro in Mailand. Ein Strom, der unerwartete Formen annimmt, unerwartete Richtungen einschlägt, wie die Lebensreise von uns allen.

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