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Brief aus der ­Romandie (dix-neuf)

«Ich bin zwar keine Feministin, aber…» – So beginnt ein Aufsatz von Marguerite Burnat-Provins (1872–1952), den Sylviane Dupuis in ihrem brillanten Vorwort zum Band «Tu es la sœur que je choisis» (Le Cour­rier/Éditions d’en bas) zitiert. Über hundert Jahre nach dieser vorsichtigen Distanzierung einer Malerin und Dichterin, deren erotischer Lyrikband «Le livre pour toi» 1907 einen Skandal erregte, versammelt das Buch anlässlich des zweiten Frauenstreiks 38 Beiträge von Autorinnen und Illustratorinnen der Romandie. Die Rede ist von Gewalt, sexueller Belästigung und ungleichen Löhnen, aber auch scheinbar banale Dinge wie Einkaufslisten und Kinderspiele erzählen viel über weibliche Lebensformen.

Drei Frauen bringen in Roland Butis «Grand National» (Zoé) das Leben und Fühlen des Erzählers Carlo, der eine Gärtnerei betreibt, durcheinander: Seine Mutter ist aus dem Altersheim verschwunden und hat sich in einem Nobelhotel oberhalb von Montreux eingemietet, wo sie sich während des Zweiten Weltkriegs in einen Deutschen verliebt hatte. Seine Frau Ana hat ihn verlassen und Tochter Mina ist für eine Kunstausbildung nach London gezogen. Carlo hat sich bei der Arbeit am Finger verletzt, und als ob dies nicht reichte, wird auch noch sein Angestellter Agon spitalreif geschlagen. Handelt es sich um einen Racheakt in Zusammenhang mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien? Nach dem grossen Erfolg von «Das Flirren am Horizont» (deutsch von Marlies Russ, Nagel & Kimche, 2014) zeugt auch Butis neuer Roman von historischem Bewusstsein und von einem sicheren Gespür für Stimmungen und Beziehungen.

«Cartographie du souvenir», der achte Band von Frédéric Pajaks «Manifeste incertain» (Noir sur Blanc) – für den siebten hat Pajak soeben den Prix Goncourt de la Biographie erhalten –, vereint gezeichnete und geschriebene «Lebens-fragmente»: Erinnerungen des Erzählers an seinen esoterischen Schweizer Schwiegervater, die Geschichte einer Alphirtin, Eindrücke aus China und Taiwan und Porträts der französischen Autoren Ernest Renan und Paul Léautaud führen auf eine Reise durch Orte und Zeiten.

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