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Claudia Quadri: «Spiel, Nora Blume»

Claudia Quadri:
«Spiel, Nora Blume»

 

Nora Blume ist eine veritable Melancholikerin. Aus ihrer Pianistinnenkarriere ist nicht viel geworden. Sie spielte auf Kreuzfahrtschiffen statt in Konzertsälen. Auf hoher See lernte sie auch Toni kennen, Typ «reicher Sohn», den sie heiratete, auch wenn der werte Schwiegerpapa in ihr eine «Profiteurin» sah. Doch Toni starb, und jetzt ist sie allein, gibt komplizierten Teenagern und nicht einfacheren Damen Klavierunterricht und ist auf bestem Weg zur Misanthropin. So sieht es jedenfalls aus, bis Salvo, ein Nachbar, der in Biotextilien macht, in ihr Leben tritt. Alles, was es nun noch zur Charakter- und Milieustudie braucht, ist eine Baustelle vor ihrem Haus, die ihren Widerspruchsgeist weckt.

Claudia Quadri erweist sich in ihrem mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichneten Roman «Spiel, Nora Blume» als grossartige Lebensabschnittsbeobachterin. Nora Blume steht an der Schwelle zu einem neuen Leben, und irgendetwas lässt sie lange auf dieser Schwelle verharren – als hätte sie Zweifel, dass das, was noch kommt, es wert sei, den nächsten Schritt zu tun. Quadri hat dafür eine präzise, feinsinnig-ironische Sprache gefunden, die mit wenigen Zeilen Figuren zu vollwertigen Charakteren wachsen und stimmige Atmosphären entstehen lässt: seien es die Leiden auf dem Klavierhocker, das Leben auf einem Kreuzfahrtschiff, das Hochglanzbüro des Schwiegerpapas oder die lärmige Maloche vor ihrem Haus. Sie wechselt geschickt die Perspektiven zu Nebenfiguren und changiert zwischen Präteritum und Präsens, was dem Text Dynamik gibt. Und Quadri versteht es, über Musik zu schreiben, vor allem, wenn sie falsch gespielt wird: «Er [der verzweifelte Klavierschüler Jean] hätte wieder von vorn anfangen müssen, die Notenseilschaft auf das musikalische Matterhorn zu schleppen.»

In die Begeisterung über die gleichermassen pointierte und bildhafte Sprache hat sich bei mir während der Lektüre jedoch Unbehagen geschlichen: Nora Blume und vor allem Salvo denken und handeln manchmal arg wohltemperiert – also lauwarm. Schicksalsschläge werden fortissimo verdrängt, bis der Körper sich meldet; die Baustelle weckt nur Pianissimo-Protest; katastrophale Nachrichten werden übersehen wie zu schwere Passagen einer Partitur. Vermutlich gehört diese Lauheit zum beschriebenen Milieu der gutbürgerlichen «Fortysomethings», und dann könnte das kein Kritikpunkt an diesem Roman sein. Allerdings lässt Claudia Quadri ihren Roman derart versöhnlich ausklingen, dass nur zu hoffen bleibt, Nora Blume verliere in ihrem neuen Lebensabschnitt nicht das, was sie zu einer wunderbaren Romanfigur macht: ihre veritable Melancholie.

Claudia Quadri: Spiel, Nora Blume. Aus dem Italienischen übersetzt von Bettina Müller Renzoni. Zürich: edition 8, 2016.

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