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Daniel Goetsch: «Fünfers Schatten»

Daniel Goetsch:
«Fünfers Schatten»

Ein ephemeres Leuchten am Nachthimmel, nach wenigen Sekunden verglüht und vom Nichts verschluckt. In diesem Sinnbild verdichtet Daniel Goetsch den Drehpunkt seines neuen Romans «Fünfers Schatten»: die Biographie eines vom Erfolgs- und Drogenrausch ausgezehrten Theaterautors, der aufbricht, seine Schatten zu durchleuchten. Wie im Vorgänger «Ein Niemand» erzählt Goetsch von Sinn- und Identitätskrisen und fährt dafür eine massive Kulisse europäischer Geschichte auf.

Maxim Diehl fasst den Entschluss, sich auf einer französischen Insel selbst zu suchen und seine Autobiographie zu schreiben: eine «schonungslose Abrechnung». Doch im Exil begegnet ihm eine Wirrnis schmerzhafter Erinnerungsfetzen, die er zusammengeknüllt im Abfall verschwinden lässt und allabendlich mit Alkohol und Sedativen zu betäuben versucht: Die gespenstischen Stummelfinger des kriegsversehrten Grossonkels, die Launen des Vaters, der im klammen Provinzeigenheim über die Kleinfamilie gebot. Und Vivien, Maxims Jugendfreundin, strahlender Leitstern für seine Fluchtphantasien, aber auch Kristallisationspunkt verdrängter Schuld.

Doch diese Bruchstücke wollen sich nicht zu einer stringenten Erzählung fügen, und so spielt Diehl die Begegnung mit dem amerikanischen Kriegsveteranen Jack Quintin glücklich in die Hände. Die nächtliche Herrengesellschaft bei Cognac bietet ihm nämlich nicht nur unterhaltsame Zerstreuung, sondern überdies spannenden Erzählstoff. In den USA in psychologischer Kriegsführung ausgebildet, wirkte Quintin bei der Entnazifizierung Deutschlands mit und war gezwungen zu verheimlichen, dass er in Wahrheit der deutsche Jude Jakob Fünfer ist.

Zwei Männer, zwei Biographien, unterfüttert mit westlicher Nachkriegsgeschichte, Zürcher Jugendkrawallen und Drogenelend der Achtziger. Über dem parallelgeführten Erinnerungsgeschehen wacht Plutarch, der «Gottvater der Biographien», in dessen Bíoi parálleloi die Lebensgeschichten eines griechischen und eines römischen Staatsmannes kontrastiert werden, um allgemeingültige Moraldidaxen zu vermitteln. Des moralischen Fingerzeigs enthält sich «Fünfers Schatten» glücklicherweise. Vielmehr ermöglicht das synoptische Arrangement des Romans einen fiktiven Dialog zwischen zwei Generationen, die ein un­überbrückbares gegenseitiges Unverständnis trennt. Anschaulich wird aufgerollt, wie Traumatisierte traumatisieren und dass Zwang und Gewalt verschiedene Gesichter haben können.

Die komplexe Erzählstruktur spiegelt die Vielschichtigkeit der inhaltlichen Ebene, auf der weder die beiden Biographien abschliessend enträtselt noch Schuld gesprochen wird. Die Parallelführung der beiden Viten hingegen und die zahlreichen literaturgeschichtlichen Verweise wirken konstruiert, die historische Einbettung verkommt zur Kulisse. Wiederholt verdriesst man sich zudem am Pathos gestelzter Formulierungen: Der Protagonist «stiess an äussere wie innere Grenzen», und «eine an Schweiss und Tränen reiche Ewigkeit verging».

«Züri brännt», Platzspitzinferno und Nachkriegstrümmerlandschaft in einem Buch – das kann durchaus gelingen. In «Fünfers Schatten» wuchert dieses Konzept in seiner erzählerischen Umsetzung jedoch nach allen Seiten. Zurück bleibt ein konstruierter und überfrachteter Wust.

Daniel Goetsch: «Fünfers Schatten». Stuttgart: Klett-Cotta, 2018.

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