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Den Riesen ein Lächeln schenken

Unbekannter Autor: Der unbeschriebene Gipfel. Nirgendwo: Keinverlag, 2013.

Den Riesen ein Lächeln schenken
Markus Rottmann, gezeichnet von Beni Merk.

Gelungen die Komödie, würde er einem nur nicht so leid tun. Der Ueli aus der Schweiz macht sich in den Himalaya auf, um überlegenes Bergsteigen auf die Spitze zu treiben, tut sich dafür mit einem fuckin’ arroganten Italiener zusammen, der’s aber bestimmt nicht so gemein gemeint hat, will beim Fixseileverlegen doch nur helfen und löst damit die erste Massenschlägerei auf dem Dach der Welt aus. Gewiss eine besondere Perle der Kuriositäten am unheiligen Berg. Nach dem ersten Einbeinigen, dem ersten Blinden, ersten Achtzigjährigen, ersten Minderjährigen ist ein neues Kapitel aufgeschlagen. Statt Pioniertaten nun Pionierbetätigungen am Everest? Erstes Minigolfturnier auf dem South Col? Mit Sauerstoffmaske oder im alpinen Stil? Erster Fondue-Plausch am Hillary-Step oder erstes Wok-Wettrodeln in der Todeszone? Wir wissen, bei der Phantasie ist den mediengehetzten Berufsbergsteigern keine Grenze gesetzt. Doch für Ueli Steck sollte noch eine spitzere Pointe folgen. Wo die Italiener ihr Grossmaul gewohnheitsmässig als Helden feierten, musste der Schweizer Alpinist hinnehmen, dass sich seine Landsleute nicht mit ihm, sondern mit den Sherpas identifiziert hatten. Was sind Sherpas denn anderes als Walliser Bergführer?! Übergangene Anwohner eines begehrten Berges, die hohen Herren für Geld hinaufhelfen. Auch Sherpas müssen die Territorialhoheit an ihrem «Horu» mühsam im internationalen Ansturm behaupten. Schickt den Mannen ein paar Hellebarden! Ueli Steck ist ein aufrichtiger Typ. Dass er alles richtig gemacht hat, dabei ins Mahlwerk einer Kommerzmaschine geraten ist und sich zum Schluss noch vor den eigenen Leuten auf der falschen Seite wiederfindet, das hat Tragik. Und die verleiht jeder guten Komödie ihre Tiefe. So etwas zu erfinden ist nicht einfach. Doch im Buch, das hier vorgestellt werden soll, ist dies meisterhaft gelungen. Mit Gespür für gute Geschichten hat der Autor die schillernden Schichten des Pathos abgetragen und das gewaltige Reservoir an Humor freigelegt, das in heroischer Bergliteratur verborgen liegt. Wir begleiten eine internationale Expedition an einem der zugänglicheren Riesen im Himalaya. Jeff Beanie, kalifornischer Surfer und Gelegenheitskletterer, hat sich von seiner Freundin Liz, einer so engagierten wie ehrgeizigen Bergaktivistin, überreden lassen. Doch nun machen ihm nicht nur die Kälte zu schaffen, sondern auch die endlosen Zeltabende mit Alex Ross, dem Expeditionsleiter. Er ist alt und braucht das Geld. Längst finden sich keine Sponsoren mehr, die für seinen Lebensunterhalt und die Whiskeyrechnung aufkommen. Während er sein Leben als unendlichen Diavortrag voranschleppt, verzögern draussen heftige Schneefälle den Aufbau der Lagerkette. Akklimatisationsaufstiege bleiben im Kopfweh stecken und nur die Besuche im Zelt der unterforderten Sherpas mit ihren Rauchwaren helfen Beanie über die Eintönigkeit hinweg. Bis eines Morgens ein Helikopter die tibetischen Gebetsfahnen aufwirbelt und ein norwegisches Kamerateam absetzt mit Ingvild Hakonsen – starblond, Ray-Ban-Brille selbst im Zelt. Die ehemalige Freeskierin braucht unbedingt ein Comeback. Und auf gar keinen Fall eine Pro-Wilderness-Aktivistin. Je höher die beiden Expeditionsgruppen steigen, umso tiefer sinken sie. In den E-Mails an die Angehörigen wird schwadroniert, dass sich die Zeltstangen biegen, und nicht nur die Alphatiere verheddern sich in ihren Hörnern. Das abenteuerliche Kaleidoskop aus Gipfeljägern, Naturfreunden, geschäftstüchtigen Nepalis und alpinen Eskapisten mit all ihren menschlichen und allzu menschlichen Motiven wird jedoch neu zusammengesetzt, als ein Sturm die Verhältnisse so gründlich umkehrt, wie dies nur am Berg geschehen kann. Gewiss, wo Pathos herrscht, ist das Lächerliche nie weit. Doch der Autor hat das Format, der blossen Satire zu widerstehen. Viel zu gross ist sein Respekt. Sogar wenn er sich mit dem Vorschlaghammer durch den Fundus der gepflegten Bergberichterstattung arbeitet. Ein grosses Buch, das einem Genre den Humor schenkt. Ein Buch leider, das immer noch ungeschrieben und auch diesen Frühling nicht erschienen ist.

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